Seit einem Jahr liegt die neue „Tourismuskonzeption Baden-Württemberg“ vor, die von der Landesregierung in einem umfangreichen Beteiligungsprozess erarbeitet wurde. Sie regelt auch die künftigen Aufgaben und Schwerpunkte der Tourismus Marketing GmbH Baden-Württemberg (TMBW) neu. Die kürzlich veröffentlichte „Strategie 2025“ beschreibt ihre konkrete Umsetzung. Im Interview spricht TMBW-Geschäftsführer Andreas Braun über das neue Selbstverständnis der Landesmarketingorganisation und erklärt, wie die Corona-Krise den Wandel der Branche beschleunigt.
Herr Braun, mitten in der größten Krise der Tourismusbranche haben Sie die neue „Strategie 2025“ entwickelt. Damit setzt die TMBW die landesweite Tourismuskonzeption um. Ist die nach den Umbrüchen der Corona-Pandemie nicht ein alter Hut?
Nein, ganz im Gegenteil. Die Landestourismuskonzeption erweist sich bei genauerem Hinsehen als sehr zukunftsweisend! Sie regelt sehr bedacht, wie die einzelnen Ebenen und Akteure im Tourismus künftig zusammenarbeiten, um den Tourismus erfolgreich weiterzuentwickeln. Das ist mitten in der Krise noch aktueller als vor einem Jahr. Allerdings hat die Corona-Krise so manche Entwicklung erheblich beschleunigt, etwa den Wandel zur Destinationsmanagementorganisation.
Können Sie das ein einem konkreten Beispiel beschreiben?
Am deutlichsten zeigt sich das bei der Digitalisierung. In den letzten Wochen war ja viel davon die Rede, wie sehr die Corona-Krise den digitalen Wandel unserer Gesellschaft vorantreibt. Bei uns wird das am großen Thema Datenmanagement nun ganz konkret erkennbar. Eigentlich war der Start der neuen Datenbank „mein.toubiz“ erst später im Jahr geplant. Wir haben den Lockdown aber zum Anlass genommen, um schon im März damit loszulegen. Die neue Seite wirhaltenzusammen-bw.de war ein logistischer Kraftakt. Sie hat aber anschaulich gezeigt, welche Möglichkeiten uns strukturiert erfasste Daten bieten.
Das Beispiel verdeutlicht die von mir angesprochene Beschleunigung: Die neue Rolle der TMBW beim landesweiten Datenmanagement war bereits in der Tourismuskonzeption definiert. Dass es nun so schnell so konkret wurde, ist der Corona-Pandemie geschuldet.
Digitalisierung und Datenmanagement sind aber nur zwei Beispiele für die neuen Managementaufgaben der TMBW. Welche sind noch dazugekommen?
Da ließen sich viele nennen, auf die wir in der „Strategie 2025“ näher eingehen. Etwa die Sicherstellung von Grundprinzipien wie Qualität, Nachhaltigkeit oder Inklusion.
Besonders herausstellen möchte ich aber die Koordination und Kommunikation von Wissen. Wissensmanagement und Wissenstransfer werden zu einer der Kernaufgaben der TMBW. Wir verstehen uns als Kompetenzzentrum, das Expertenwissen und Informationen bündelt und in die Branche trägt. Auch hier hat Corona vieles beschleunigt. Die Nachfrage nach gesicherten Informationen zu Corona-Verordnungen oder Hilfspaketen war riesig. Wir haben im Dauereinsatz alle verfügbaren Informationen gebündelt und aufbereitet, wurden zum Brückenkopf und zur Schnittstelle zwischen Politik, Ministerien und unseren touristischen Partnern.
Welche Rolle spielt hier die Kommunikation?
In jeder Krise ist eine professionelle Kommunikation der Schlüssel, um handlungsfähig zu bleiben. Was mir aber in dieser Krise besonders aufgefallen ist: Unsere Zielgruppen haben sich verschoben. Natürlich gehört es weiterhin zu unseren Aufgaben, potenzielle Gäste über die neuen Regeln zu informieren oder Medienanfragen zu beantworten. Doch viel wichtiger wurde die Kommunikation nach innen, mit unseren Kolleginnen, Partnern und Leistungsträgern im Land. Zum Glück hatten wir bereits unser Tourismusnetzwerk, das sich nun als zentrales Instrument der Krisenkommunikation bewährt hat. Am Höhepunkt der Krise verzeichneten wir dort eine Steigerung von mehr als 600 Prozent bei den Zugriffen. Zwischen all den Schreckensmeldungen war dies eine sehr positive Erfahrung: Wir konnten konkret helfen und unsere Informationen haben den Weg zu ihren Adressaten gefunden.
Welche Schlüsse ziehen Sie daraus für die künftige Aufstellung der TMBW?
Zwei Aspekte: Datenmanagement und Digitale Kommunikation gewinnen noch mehr an Gewicht, wir werden diesen Bereich personell noch stärker ausbauen. Außerdem sollen Klassische Kommunikation und Wissensmanagement künftig noch enger verzahnt werden, beide Bereiche werden in einer neuen Stabstelle Kommunikation und Koordination zusammengeführt, die ebenfalls personell aufgestockt wird. Dort laufen dann alle Fäden zusammen, von der Pressearbeit bis zum Wissenstransfer in die Branche.
Wissenstransfer lebt vom Austausch mit Experten und Spezialisten. Wie holen Sie sich diese Kompetenz ins Haus?
Eine Sache ist mir hier ganz wichtig: Wissenstransfer ist keine Einbahnstraße. Wir möchten nicht nur Wissen in die Branche vermitteln, sondern die vielfältige Expertise, die es im ganzen Land gibt, einfließen lassen. Hierzu entstehen gerade sogenannte Kompetenzteams. Mit dem Ziel, die jeweiligen Fachleute zu einem Thema landesweit besser zu vernetzen. Dort sollen ganz bewusst Spezialistinnen und Experten der Sachebene sitzen. In einem ersten Schritt entstehen Kompetenzteams für die Themen Digitales und Marktforschung. Langfristig möchten wir ein eigenes „Innovation LAB“ einrichten, das innovative Entwicklungen identifiziert oder selber anstößt, also zum Impulsgeber wird.
Neben Datenmanagement, Wissenstransfer und anderen neuen Managementaufgaben soll es aber auch noch Marketing geben?
Aber klar. Destinationsmarketing ist unsere Kernkompetenz und bleibt weiter eine zentrale Aufgabe – nur kommen eben andere Aufgaben dazu. Aber natürlich gibt es auch im Marketing grundlegende Veränderungen durch die neue Tourismuskonzeption.
Welche sind die wichtigsten?
Ins Zentrum unserer Marketingaktivitäten rücken die neuen Produktmarken und innerhalb dieser jeweils Schaufensterprodukte. Neu ist aber auch, dass Produktmarkenbeiräte etabliert werden. Diese sind mit Fachleuchten aus dem ganzen Land besetzt und legen unter anderem die Kriterien für ein Schaufensterprodukt fest. Wir steigen damit gemeinsam mit vielen Tourismusakteuren noch tiefer in die Produktentwicklung ein. Ähnlich wie wir das beim Weintourismus schon seit einigen Jahren machen. Durch die Vernetzung und den Austausch der Akteure wird die Schlagkraft des Marketings erhöht.
Wie ist der Stand bei der Umsetzung der Produktmarkenbeiräte?
Da gibt es Unterschiede je nach Thema. Zum Beispiel können wir bei der Produktmarke Wein oder auch bei den Städten und Kleinstädten an bereits etablierte Gremien anknüpfen, dort sind wir schon sehr weit. Aber auch die Produktmarkenbeiräte zu Landurlaub oder Kulinarik haben sich bereits konstituiert und die Arbeit aufgenommen. Weitere folgen Schritt für Schritt.
Und wie werden diese Produktmarken künftig vermarktet?
In unserem strategischen Marketingmix stehen digitales Marketing und crossmediales Storytelling im Mittelpunkt. Bei beiden nehmen wir den Endkunden ins Visier. Dafür bauen wir auch unsere Contentstrategie weiter aus. Ausgewählte Themen und Geschichten werden in allen Kanälen und Märkten gespielt, um Synergien zu nutzen. Dabei entwickelt sich die TMBW immer mehr zum Content-Lieferanten und zu einer Art Medienhaus, das Inhalte selbst erstellt und über eigene Medien kommuniziert.
Neu ist auch das Segment MICE, das durch die Corona-Krise arg gebeutelt wurde. Bisher waren Sie hier nicht aktiv.
Hier gibt es tatsächlich große Herausforderungen. Wir sehen ein gewisses Potenzial für kleinere, spezialisierte Veranstaltungsformate. Hier möchten wir ansetzen. Um die großen Formate kümmern sich vielerorts schon die Convention Bureaus, dazu möchten wir nicht in Konkurrenz treten. Unser Fokus wird auf der Entwicklung besonderer Formate liegen, die gut zu unserem Land passen. Also zum Beispiel Meetings an besonderen Genussorten, in der Natur oder auch in kulturell spannenden Locations. Hierin liegt vielleicht wirklich eine Chance: Corona zwingt uns, den Bereich MICE völlig neu zu denken.
INFO
Die ausführliche „Strategie 2025“ der TMBW finden Sie hier zum Download.
Eine gedruckte Fassung dieses Textes wurde in der jüngsten Ausgabe des Magazins Tourismus Aktuell veröffentlicht. Darin informiert die TMBW zweimal im Jahr über aktuelle Trends und Entwicklungen im Tourismus. Das Magazin kann kostenlos bestellt oder abonniert werden.
Ansprechpartner:
Dr. Martin Knauer
m.knauer@tourismus-bw.de