Besonders hart trifft die Corona-Krise den Bereich der Geschäftsreisen. Ob sie jemals wieder das alte Niveau erreichen werden, ist fraglich. Zumal etliche Geschäftsleute mit digitalen Alternativen gute Erfahrungen machen.
Von Andreas Steidel
2020 haben viele Geschäfts- und Tagungsreisende erstmals ausführlich Bekanntschaft mit digitalen Lösungen gemacht. Plötzlich ist das Routine, wovon man zuvor allenfalls mal gehört hatte. Mit Folgen für die Hotel- und Reisebranche, die nun um ihre Einnahmen bangt. Und das keineswegs nur kurzfristig.
Erste Untersuchungen des ifo-Instituts besagen, dass knapp 60 Prozent aller Unternehmen ihre Geschäftsreisen dauerhaft einschränken wollen. Der Beratungskonzern Morgan Stanley hat 200 Manager in den USA, Asien und Europa befragt und dabei herausgefunden, dass langfristig rund ein Fünftel aller Dienstreisen wegfallen könnte. Und die Wirtschaftswoche spricht gar schon von der Post-Dienstreise-Ära.
Massive Auswirkungen auf die Städte
Das trifft besonders die großen Städte, die auch in Baden-Württemberg zu einem hohen Teil von Geschäftsreisenden abhängig sind. In Stuttgart machen diese rund 70 Prozent aller Übernachtungen aus. Mit der Folge, dass 2020 manche Häuser ihre Türen auch dann geschlossen hielten, als sie sie eigentlich für den Tourismus wieder hätten öffnen dürfen. Doch es lohnt sich nicht, zumal Touristen unterm Strich deutlich weniger Geld liegen lassen als diejenigen, die beruflich unterwegs sind.
Viele hatten auf eine Veränderung in der zweiten Jahreshälfte gehofft. Entsprechend ernüchternd fallen auf Grund der aktuell stark steigenden Fallzahlen erste Zwischenbilanzen aus, da viele Firmen weiterhin sehr vorsichtig agieren und Großveranstaltungen frühestens wieder 2021 stattfinden können.
Die sind jedoch im Bereich der beruflich bedingten Reisen ein gewichtiger Faktor: Etwa ein Drittel aller Dienstreisen entfällt auf das Meeting-Segment (MICE), zu dem Weiterbildungen, Tagungen, Kongresse und Events gehören. Auch die großen Messen spielen eine tragende Rolle und nicht zuletzt nach der Absage der Stuttgarter CMT für den Januar 2021 weiß derzeit keiner, wann dort wieder Normalbetrieb herrschen wird.
Ausführlich untersucht hat den Bereich der Geschäftsreisen das Institut für Management und Tourismus (IMT) an der Fachhochschule Westküste in Heide (Schleswig-Holstein). Die Wissenschaftler Bernd Eisenstein und Julian Reif kommen dabei zu durchaus differenzierten Einschätzungen, was die unmittelbaren Folgen der Corona-Krise angeht.
„Wir gehen nicht davon aus, dass sich das deutlich niedrigere Geschäftsreisevolumen kurzfristig wieder auf das Vor-Corona-Niveau erhöhen wird“, heißt es in einer ersten Stellungnahme. Viele hätten die Qualitäten von Videokonferenzen und Online-Meetings erkannt und Vorurteile gegenüber der damit verbundenen Technik abgebaut. Ein neuer Prozess der Kosten-Nutzen-Abwägung sei in Gang gekommen, bei dem vor allem Tagesreisen und besonders kostenträchtige Business-Trips auf den Prüfstand kämen.
Persönliche Treffen auch in Zukunft gefragt
Andererseits halten sie es für ausgeschlossen, dass sämtliche Geschäftsreisen ins Virtuelle verlagert werden. „Wir befinden uns gerade in einer Phase der Online-Euphorie“, sagen Eisenstein und Reif, „und erst allmählich wird ein Bewusstsein dafür entstehen, welche Nachteile damit verbunden sind.“ Der Verlust des zwischenmenschlichen Kontakts zum Beispiel, der für den Aufbau eines Vertrauensverhältnisses jedoch von elementarer Bedeutung sei.
Eine vom Deutschen Reiseverband (DRV) in Auftrag gegebene Studie geht sogar noch weiter: Von einer „Notlösung“ ist dort im Zusammenhang mit virtuellen Meetings die Rede. Tatsache sei, dass nur bei persönlichen Treffen wirklich Umsatz gemacht werde. Überdies leide die Qualität vieler Online-Sitzungen immer wieder unter technischen Problemen. Schließlich habe ein nicht unwesentlicher Teil der Geschäftsreisenden angegeben, unterwegs produktiver arbeiten zu können als im Büro. Ergo: Eine Substitution von Geschäftsreisen in großem Stil durch Video-Konferenzen sei ein Schritt in die falsche Richtung.
Momentan freilich ist kaum abzusehen, wie sich das Ganze wirklich entwickeln wird. Noch leidet die Entscheidungsfreiheit in hohem Maße unter den eingeschränkten Möglichkeiten. Frühestens 2022, so der Beratungskonzern Morgan Stanley, sei mit einem Ende der Einschränkungen zu rechnen, für 2021 werden bei den Geschäftsreisen Rückgänge von bis zu 40 Prozent erwartet.
Auch das Institut für Management und Tourismus (IMT) in Heide ist vorsichtig, was seine langfristigen Prognosen angeht. Zwar werden sich nach Meinung der Wissenschaftler virtuelle Meetings künftig zu einem selbstverständlichen Teil des Arbeitslebens entwickeln, andererseits sei eine Rückkehr auf das alte Niveau vor der Pandemie aber auch nicht wirklich auszuschließen: „Dies wird im Wesentlichen davon abhängen, in welcher Form und mit welcher Intensität an den wirtschaftlichen Globalisierungstrend angeknüpft wird.“
Hybride Formate und Meetings im Freien
Gut möglich also, dass Dienstreisen zwar in Teilen durch Online-Konferenzen ersetzt werden, ihre absolute Zahl aufgrund des weltwirtschaftlichen Wachstums aber dennoch wieder steigt. Zwischenzeitlich werden immer öfter Lösungen vorgestellt, die beides kombinieren, virtuelle und physische Präsenz: „Hybride Tagungskonzepte“ nennt man das, wenn einige der Teilnehmer persönlich anwesend sind, andere aber nach Bedarf zugeschaltet werden.
Auch Marion Schlund von der Touristikgemeinschaft Hohenlohe beobachtet mit Interesse, wie flexibel die Branche geworden ist. Viele Weltmarktführer sitzen in ihrer Region, einige von ihnen betreiben sogar eigene Hotels. Nicht wenige haben inzwischen alternative Tagungskonzepte im Angebot: Meetings im Freien, im Rahmen von Waldspaziergängen oder mit neuen Bestuhlungskonzepten innerhalb des Gebäudes. „Der persönliche Austausch bleibt wichtig“, sagt Schlund, „gerade wenn es um Geschäftsbeziehungen geht“.
Dennoch ist vielen in der Branche im Zuge der Corona-Krise auch bewusst geworden, dass eine allzu große Abhängigkeit von den Geschäftsreisen problematisch sein kann. Auch Armin Dellnitz von Stuttgart Marketing möchte langfristig die Verteilung zwischen Geschäfts- und Privatreisen verbessern: „Statt 70:30 am besten 50:50, dann ist das eine gute Mischung.“
ÜBER DIESEN TEXT
Der Beitrag unseres Autors Andreas Steidel ist eine Kurzfassung seines Artikels in der jüngsten Ausgabe des Magazins „Tourismus Aktuell“. Darin informiert die TMBW zweimal im Jahr über aktuelle Trends und Entwicklungen im Tourismus. Das Magazin kann kostenlos bestellt oder abonniert werden.
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Ansprechpartner:
Dr. Martin Knauer
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