Schotterwege, die forstwirtschaftlichen Wege, die unsere Wälder erschließen und unter Mountainbikern verächtlich als „Waldautobahnen“ bezeichnet werden, haben neuerdings deutlich an Attraktivität gewonnen. Grund dafür ist der aktuelle Hype um die sogenannten Gravelbikes, die in den letzten Jahren neben E-Bikes und Lastenrädern zum dritten Star am Radhimmel avancierten. Sportlicher als klassische Reisefahrräder mit Rennlenker und tourentauglicher als wettkampforientierte Cyclocross-Räder, haben die Alleskönner ihren Ursprung in den USA, wo die Räder bestmöglich an die Bedingungen der dort beliebten Gravelraces (Radrennen auf weiten Schotterstraßen) angepasst wurden. Mittlerweile hat sich das Segment nochmals stark ausdifferenziert. Es gibt Räder, die näher am klassischen Rennrad angelehnt sind, genauso wie MTB-ähnliche Produkte mit Federgabeln sowie unzählige Zwischenformen. Grundsätzlich eignen sich Gravelbikes perfekt als schnelle Pendlerräder, in der Freizeit für sportliche Touren auf Straßen, Forstwegen und weniger anspruchsvollen Trails oder als treue Reisebegleiter beim Bike-Packing.
„Sie sprechen ein Gravel-Bike an. Diese Sparte boomt seit zwei, drei Jahren extrem. Vergangenes Jahr hatten Gravelbikes wirklich eine Sonderstellung. Teilweise waren mehr als 50 Prozent der Räder bereits verkauft, bevor sie überhaupt beim Händler waren.“
Mirko Haas, Marketingleiter Cube aus einem Interview mit der Frankenpost vom 23.07.2021
Die Vielseitigkeit der Räder hat dazu geführt, dass sie bei ganz unterschiedlichen Zielgruppen gut ankommen. Nach anfänglicher Skepsis nutzen sie ambitionierte Rennradfahrerinnen und Rennradfahrer mittlerweile, um dem Straßenverkehr zu entkommen. Im Alltag sind sie ideal, um schnell von A nach B zu kommen. Radreisende profitieren von den vielen Befestigungsmöglichkeiten am Rad. Und selbst Mountainbiker finden Gefallen an den Rädern, die sie ein Stück weit in die Anfänge des Mountainbikings zurückversetzen. Entsprechend groß ist auch die mediale Aufmerksamkeit, die das Thema in unterschiedlichsten Fahrradmagazinen erlebt. Egal ob „Tour“, „Roadbike“, „Bike“ oder „Radtouren-Magazin“, kaum eine Ausgabe wird heute noch ohne Bezug zum Gravelbike veröffentlicht.
Steckbrief: Gravelbikende
Es gibt aktuell noch keine Studien zum Thema, aber der durchschnittliche Gravelbikende dürften sich folgendermaßen einordnen lassen:
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Obwohl Gravelbiking am Radmarkt und in den Medien einen rasanten Aufstieg hingelegt hat, ist das touristische Potenzial der Räder bislang noch wenig erschlossen. Während man auf Komoot seine Touren bereits im Segment „Gravel“ routen lassen kann, sind professionell entwickelte Touren noch eher eine Rarität. Dabei bieten die Räder vor allem in Baden-Württemberg vielen Destinationen eine Möglichkeit, sich ohne enorme Investitionssummen radtouristisch zu profilieren.
Während Genussradler eine perfekte Beschilderung und hohe Standards bei der Wegequalität voraussetzen und die Herzen der Mountainbikerinnen in erster Linie bei aufwändig zu planenden Singletrails höherschlagen, lassen sich für Gravelbikende bereits mit den bestehenden Wegenetzen tolle Angebote konzipieren. Profitieren können davon nicht nur kleine Destinationen im ländlichen Raum, sondern insbesondere auch die Ballungszentren des Landes, die sich in Zukunft verstärkt um klassische Urlaubsgäste bemühen und die große Nachfrage der Bewohner nach Outdoorerlebnissen befriedigen müssen.
6 Tipps für Gravel-Angebote:
Best-Practice: Gravel-Touren im Kraichgau-Stromberg
Als eine der ersten Destinationen in Baden-Württemberg hat sich die Region Kraichgau-Stromberg gemeinsam mit dem Naturpark Stromberg-Heuchelberg des Themas angenommen und ein entsprechendes Angebot aufgelegt. Im Interview erzählt Geschäftsführerin Christina Lennhof, wie es dazu kam und wie die Angebote entwickelt wurden.
Warum hat sich die Region Kraichgau-Stromberg mit dem Naturpark Stromberg-Heuchelberg dazu entschlossen, eigene Graveltouren auszuweisen?
Christina Lennhof: Unsere sechs alten MTB-Routen im Naturpark Stromberg-Heuchelberg entsprachen nicht mehr dem State of the Art. Für Gravelbiker sind sie aber perfekt. Zudem haben wir feststellen können, dass das Thema MTB relativ negativ besetzt ist und sich keiner an neue Routen heranwagen will. Das Thema Gravel ist bei vielen noch gar nicht angekommen bzw. neutral besetzt. Daher war es naheliegend, die Touren, die bereits genehmigt sind, als Gravel-Touren zu kommunizieren und so für die Region ein neues Themenfeld zu generieren.
Auf welchen Wegen verlaufen die Touren und gibt es eine eigene Beschilderung oder setzt man hier auf digitale Navigation?
Christina Lennhof: Sie sind derzeit noch als MTB-Touren ausgeschildert, aber komplett online zu finden. Der Gravelbikende ist ja eher digital unterwegs, deshalb steht zum jetzigen Zeitpunkt keine neue Beschilderung auf der Tagesordnung.
Wie wurden die Touren in den vergangenen Monaten nachgefragt und werden sie auch aktiv von Ihnen beworben?
Christina Lennhof: Die Touren finden sich auf unserer Homepage und wurden bereits über unsere Social Media-Kanäle kommuniziert. Zusätzlich haben wir die Routen in einer Komoot-Collection beworben, wo sie im Frühjahr bereits gut angenommen wurden, weshalb wir die Bewerbung im Herbst wiederholen.
Im LIFE CYCLE Magazin hatten wir einen 10-seitigen Bericht über das Thema Gravel/ Bikepacking. Martin Donat hat aus diesen sechs Routen eine 3-Tages Tour geplant, ist sie gefahren und hat sie ebenfalls auf Komoot gestellt. Der Bericht ist nicht nur in seinem Magazin, sondern auch auf seinem Blog zu finden.
Weiterhin haben wir über djd und unseren Verteiler eine Presseinfo zu dem Thema herausgegeben und im Onlinemagazin Delta im Quadrat ein Advertorial veröffentlicht. Für 2022 sind dann weitere Maßnahmen geplant.
Wie sieht es In Ihrer Destination aus? Haben Sie am Thema Interesse oder bereits konkrete Angebote am Markt? Wir freuen uns auf Ihren Kommentar oder die Diskussion in der KORA-Gruppe “Radtourismus”.
Weitere Informationen rund um das Thema „Gravelbike“:
Eurobike Insights: Gravel & Adventure
ISPO 2020: Informationen zu Gravelbikes
Gravelangebote der Schwarzwald Tourismus GmbH
Danke Felix für den Artikel und den Einblick. Die Potentiale sind noch lange nicht gehoben, da gebe ich dir völlig recht. Das wird sicher auch Einfluss auf “gewöhnliche” Radinfrastruktur haben und zeigt, dass sich diese nie fertig sein wird, sondern sich anpassen muss. Es werden aber auch ähnliche Konflikte aufbrechen wie beim MTB, deswegen umso besser, dass das Produkt in dem Bsp. gleich Hand in Hand mit Akteuren wie dem Naturpark gestaltet wird.
Herzliche Grüße aus Brandenburg!