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Neue Perspektiven für MICE

04.04.2022
©Quelle: Chris Kreymborg

Geschäftsreisen sind in der Pandemie massiv eingebrochen. Vieles deutet darauf hin, dass die Verluste im Bereich MICE (Meetings, Incentives, Conventions, Events/Exhibitions) dauerhaft sein werden. Doch es gibt auch Hoffnung, neue Perspektiven und eine engere Zusammenarbeit mit den Tourismusverantwortlichen.

Es waren zwei Welten: Die Touristikerinnen und Touristiker auf der einen Seite, die Mitglieder der Tagungs- und Convention Bureaus auf der anderen. Berührungspunkte gab es kaum, jeder hat bisher in Baden-Württemberg sein eigenes Ding gemacht. Es lief ja auch, die großen Städte wie Stuttgart, Karlsruhe und Freiburg waren mit Business-Kundschaft gut ausgelastet.

Doch das hat sich mit der Corona-Pandemie geändert. Um etwa die Hälfte ist die Geschäftsreisenintensität auch hierzulande gesunken, die Übernachtungsumsätze gingen in diesem Bereich sogar um zwei Drittel zurück. Die meisten Prognosen gehen davon aus, dass es auch langfristig einen Rückgang geben wird: Von mindestens 30 Prozent spricht etwa das Kompetenzzentrum Tourismus des Bundes in einer Analyse vom Herbst 2021.

Die Tourismus Marketing GmbH Baden-Württemberg (TMBW) hat im vergangenen Jahr eine eigene Geschäftsreisen-Untersuchung speziell für das Bundesland im Süden in Auftrag gegeben. Erstellt wurde sie von der Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reisen (FUR) in Zusammenarbeit mit dem Institut für Tourismus- und Bäderforschung in Nordeuropa (NIT) und der Fachhochschule Westküste.

Adressat der Auswertung mit dem Titel „Sonderanalyse der RA Business 2021“ ist nicht zuletzt ein neu geschaffener MICE-Beirat, in dem nun erstmals Tourismus- und Convention-Verantwortliche auf Landesebene intensiv zusammenarbeiten. Jede touristische Destination entsendet einen Vertreter oder eine Vertreterin, das Gleiche gilt für den Bereich der Konferenz- und Convention-Fachleute.

Tagungen mit Wohlfühlgarantie

Man trifft sich einmal im Vierteljahr, Koordinatorin ist Inga Gorr, Projektmanagerin bei der TMBW für den Bereich Events und MICE. Ein Zusammenkommen auf ganz neuer Ebene mit Leuten, die sich nun intensiver austauschen möchten: Aus Geschäftsreisenden können im besten Fall Urlaubsgäste werden, aus Ferien-Locations interessante Standorte für Tagungen.

Erstmals setzt die TMBW aktuell auf ihrer Homepage eine eigene Unterseite zum Thema „Tagen im Süden“ um. Es wird eine Webpräsenz, die relevante und interessante Veranstaltungsziele bündelt. Dabei geht es nicht zuletzt um Tagungsorte mit besonderem Ambiente und Genussfaktor: Weingüter etwa oder Hotels, in denen Kochkurse für die Teilnehmenden angeboten werden. „Wir bekommen immer wieder Anfragen von Leuten, die auf der Suche nach besonderen Locations sind“, sagt Inga Gorr, die sich vom Austausch mit den Geschäftsreiseverantwortlichen vielfältige Impulse erhofft.

Ausgehend von der aktuellen Untersuchung für Baden-Württemberg hat eine Vielzahl der bisherigen Business-Traveller nach wie vor großes Interesse daran, beruflich unterwegs zu sein. „Viele würden gerne wieder reisen“, sagt NIT-Geschäftsführer Ulf Sonntag. Der emotionale Wert der Geschäftsreisen sei hoch und werde oft vermisst.

Gleichwohl wägen die Firmen inzwischen ab. Ist man früher einfach losgefahren, wird nun sehr genau geprüft, ob eine entsprechende Reise überhaupt notwendig ist. „Die Unternehmen haben in der Pandemie gesehen, dass man viel Geld und Zeit sparen kann“, sagt Sonntag. Es brauche nun einen guten Grund, der besagt, warum man unbedingt vor Ort sein sollte.

Die Zielsetzung entscheidet über das Format

Besonders im Bereich von Seminaren und Projektbesprechungen, die zusammen immerhin knapp 50 Prozent des Geschäftsreisevolumens ausmachen, stehen Alternativen hoch im Kurs. Gefragt nach der Präferenz von digitalen Lösungen, kann sich hier rund die Hälfte auch mit Online-Formaten anfreunden.

Günstiger sieht es im Bereich Konferenzen/Tagungen, Vertriebs- und Verkaufsbesuche, Firmenbesuche und Messen aus: Hier möchte die Mehrzahl der Befragten bei den Geschäftsreisen bleiben.

Wer Kolleginnen, Geschäftspartner und wichtige Referentinnen kennenlernen möchte, schätzt den persönlichen Kontakt. Reine Wissensvermittlung hingegen sowie Abstimmungsschritte bei einem Projekt, dessen Teilnehmende man ohnehin schon kennt, können auch per Video-Konferenz erledigt werden.

Immer öfter macht auch das Stichwort der Hybrid-Konferenz die Runde. Ein Teil der Tagungsgäste ist dabei vor Ort, ein anderer wird online zugeschaltet. Eine wunderbare Lösung, die beide Welten zusammenbringt, meinen viele, doch NIT-Geschäftsführer Ulf Sonntag gießt hier etwas Wasser in den Wein: „Eine Veranstaltung, bei der das Gros der Referentinnen und Referenten nur einen digitalen Auftritt hat, ist für Präsenz-Teilnehmende uninteressant.“

Ohne Begegnungen geht’s nicht

Im Grunde müsse man sich entscheiden, ob eine Veranstaltung in Präsenz erfolgt oder online. Hybride Lösungen können nach Sonntags Meinung nur funktionieren, wenn sie ergänzend zu verstehen sind. Will heißen: Ein Keynote-Speaker, der von der Ferne zugeschaltet wird, ist okay, so lange eine Vielzahl weiterer namhafter Referierender persönliche Begegnungen am Tagungsort ermöglicht.

Eine gewisse Skepsis gegenüber hybriden Lösungen kommt auch in der Studie des Kompetenzzentrums des Bundes (Die Zukunft der Geschäftsreise – Online Panel 3/2021) zum Ausdruck: Zwar wird dort die große Reichweite und Flexibilität einer solchen Kombination betont, jedoch auch auf die fehlende Gleichwertigkeit von virtuell und real Anwesenden hingewiesen.

Nach der FUR/NIT/DITF-Untersuchung steht in Baden-Württemberg die Qualität der Referentinnen und Referenten, die gute Erreichbarkeit und das hochwertige Themenangebot ganz oben auf der Entscheidungsliste für eine Tagungsteilnahme. Immerhin rund 50 Prozent gaben an, kleinere Formate mit maximal 50 Personen zu bevorzugen. Bei 30 Prozent spielen die touristische Attraktivität und die besondere Location eine Rolle.

Noch gibt es viele Fragezeichen zur Zukunft und dem tatsächlichen Verlauf der Geschäftsreisen. „Der Unterschied zu den Urlaubsreisen ist“, so Ulf Sonntag, „dass es dafür Alternativen gibt.“ Inwiefern und inwieweit sie zum Zuge kommen, können selbst die Expertinnen und Experten nur schwer einschätzen. Kaum einer geht davon aus, dass Geschäftsreisen, Tagungen und Messen künftig ganz ersetzt werden. Doch niemand rechnet auch ernsthaft damit, dass sie nach der Pandemie im alten Umfang zurückkommen.

Wobei NIT-Geschäftsführer Ulf Sonntag auch das nicht ganz ausschließen will: Der Grad an Vernetzung nehme derzeit so stark zu, dass das Gesamtvolumen der geschäftlichen Beziehungen weiter ansteigen werde. Verdoppelt sich irgendwann die Anzahl der Kontakte, so wäre selbst bei einer 50-prozentigen Digitalquote der Anteil der Präsenzreisen absolut gesehen wieder auf dem alten Stand.

Genug Gesprächsstoff für den MICE-Beirat also in einem Marktsegment, das mehr denn je in Bewegung ist.

 

Dieser Beitrag unseres Autors Andreas Steidel ist eine Kurzfassung eines Artikels im Magazin „Tourismus Aktuell“. Darin informiert die TMBW zweimal im Jahr über aktuelle Trends und Entwicklungen im Tourismus. Das Magazin kann kostenlos bestellt oder abonniert werden.

Ansprechpartner für “Tourismus Aktuell”:
Dr. Martin Knauer
m.knauer@tourismus-bw.de



Autor(in): Tim Müller
Tourismus Marketing GmbH Baden-Württemberg
Projektmanager Kommunikation & Koordination
E-Mail: t.mueller@tourismus-bw.de


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