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Lernen aus den Krisen

11.04.2022

Die Zeiten des Corona-Lockdowns sind gerade vorbei, schon ist die nächste Krise da: der Krieg in der Ukraine. Und auch der Klimawandel ist im derzeitigen Bewusstsein zwar etwas in den Hintergrund gerückt, aber nach wie vor eine große Herausforderung. So etwas wie Normalität scheint es nicht mehr zu geben. Umso wichtiger ist es, aus Krisen zu lernen und die Chance zur Veränderung zu nutzen.

Hotelzimmer und Restauranttische waren leer, viele Angestellte hatten nichts zu tun. Da kam man in einem Landgasthof in Sachsen auf eine besondere Idee: Jeder Mitarbeitende sollte sein Lieblingsrezept benennen und es in der Küche zubereiten. Gemeinsam mit dem Koch wurde beraten, wie man es noch schmackhafter und so zubereiten kann, dass es sich für den Außer-Haus-Service eignet.

So konnte am einen Tag das Lieblingsgericht der Reinigungskraft abgeholt werden, am nächsten das einer Kollegin aus dem Service. Auf Wurfzetteln fand sich ein Bild des Mitarbeitenden und seines Gerichts und ein paar Zeilen, was er oder sie mit diesem Rezept verbindet. Die Idee kam bei den Kunden gut an – und war in vielerlei Hinsicht ein Gewinn, wie Mathias Feige, Geschäftsführer der dwif-Consulting GmbH, erläutert: „Auch die Köche hatten Spaß daran. Es entstand durch die Aktion außerdem eine persönliche Beziehung zu den Kunden, und die Menschen und das Team im Haus wurden gestärkt.“

Nicht nur die Gastronomie, alle touristischen Leistungsträger und Organisationen mussten sich an die Krise anpassen. Bei der Tourismus Marketing GmbH Baden-Württemberg (TMBW) wurde eine teamübergreifende Gruppe gebildet, in der sich zweitweise bis zu vier Mitarbeitende um das Krisenmanagement gekümmert haben. „Oft ging es darum, Anfragen zu beantworten, neue Verordnungen des Landes zu übersetzen, Ministerien auf eventuelle Lücken hinzuweisen und über soziale Medien und unsere Webseite zu informieren“, erklärt TMBW-Geschäftsführer Andreas Braun. Auch der Austausch übers Tourismusnetzwerk wurde intensiviert und eine Videosprechstunde mit Braun persönlich eingerichtet.

„Die akute Krisenbewältigung mit Informationskampagnen, Homeoffice-Arbeitsplätzen und kreativen Ideen ist bei vielen auch gut gelaufen“, erklärt Experte Feige. „Doch wenn die Hochphase vorbei ist, darf man nicht einfach zur Tagesordnung übergehen, sondern muss schauen, was gut geklappt hat, was weniger gut geklappt hat.“ Basierend auf dieser Bilanz sollte man auch einen Krisenplan entwickeln. Den hat seiner Erfahrung nach vielleicht eine große Hotelkette in der Schublade, für den Fall, dass mal der Strom ausfällt oder es eine Lebensmittelvergiftung im Restaurant gibt, aber in kleineren Betrieben und Organisationen sucht man danach vergebens.

Dass eine Krise die nächste jagen kann, hat das Ahrtal schon im vergangenen Jahr erlebt: Mitten in der Corona-Pandemie hat sich dort auch noch eine Hochwasserkatastrophe ereignet. „Für uns war es hilfreich, dass wir bereits 2019 einen internen Krisenstab gebildet und ein Krisenhandbuch mit verschiedenen Szenarien und Zuständigkeiten gemeinsam erarbeitet hatten“, erklärt Anja Wendling, stellvertretende Geschäftsführerin der Rheinland-Pfalz Tourismus GmbH (RPT).

Als im Juli 2021 dann die Flut über das Ahrtal hereinbrach, hatte sich die Zusammenarbeit im Krisenstab bereits etabliert. Die Kommunikationsplattformen mit den entsprechenden Unterseiten und Newslettern waren eingerichtet, Erfahrungen und Mechanismen aus der Pandemie gab es also schon. „Allerdings war die Situation eine gänzlich andere“, erklärt Anja Wendling, „eine ganze Region hatte sich in ein Katastrophengebiet verwandelt und konnte nicht mehr bereist werden. Fast die komplette Infrastruktur war zerstört, die Kollegen und Kolleginnen vor Ort waren selbst betroffen und über Wochen gar nicht erreichbar.“ Die RPT legte den Fokus auch hier neben der Endkunden- auf die B2B-Kommunikation. „Gäste und Geschäftspartner konnten den Eindruck bekommen, dass ganz Rheinland-Pfalz nicht besucht werden kann. Dem mussten wir aktiv entgegenwirken“, so Anja Wendling.

Im Ernstfall sind Beziehungen gefragt

„Natürlich kommt es oft anders, als man denkt, aber mit einem Krisenplan ist man vorbereitet und fühlt sich nicht paralysiert und hilflos ausgeliefert“, sagt Feige. Dabei steht für ihn eines im Mittelpunkt, wenn Tourismusorganisationen und Destinationen auf herausfordernde Situationen gut vorbereitet sein wollen: die Menschen. „Wir müssen sie und ihre Beziehungen nach innen stärken“, erklärt der dwif-Experte.

Wer die Menschen und die Beziehungen nach innen stärken will, muss aber auch neue Organisationsformen und Teams entwickeln und sich mit der Frage beschäftigen, wie man künftig miteinander arbeitet. „In der Pandemie haben sich Corona-Krisenteams bewährt, man kann es nicht alleine schaffen“, erklärt Feige. Die Zeit der Einzelgeschäftsführer jedenfalls nähert sich seiner Überzeugung nach dem Ende: „Digitalisierung, Nachhaltigkeit, Sinus-Milieus, Produktentwicklung und so weiter – kein Mensch kann all die Themen auf einem hohen Niveau betreuen.“

Agilität ist gefragt, ein Thema, das viele Management-Bücher füllt. Im Gegensatz zur Flexibilität geht es dabei nicht um die Anpassung an eine neue Situation, sondern darum, Veränderungen zu antizipieren, sich schnell darauf auszurichten und proaktiv mitzugestalten. Dafür eignen sich aber keine starren Strukturen und Hierarchien, sondern Selbstorganisation und offene Kommunikation ist angesagt. „Agilität ist der Weg zur Resilienz“, urteilt Feige.

Neben den nach innen gerichteten Anpassungen müssen seiner Ansicht nach tragfähige Netzwerke nach außen aufgebaut und bestehende gepflegt werden. Dabei haben seine Gespräche und Befragungen mit Orten und Organisationen gezeigt, dass gute Netzwerke, die es schon vor der Pandemie gab, in der Krise noch enger zusammengewachsen sind. „Corona hat viele dazu gebracht, über den Tellerrand und die eigene Branche hinauszudenken“, sagt Feige. Auch hier gelte es, bestehende Strukturen zu durchforsten, bei wichtigen Netzwerken die Bindung zu festigen, andere zu fördern – und vielleicht auch den einen oder anderen Arbeitskreis aufzugeben, wenn man sie nicht wirklich braucht und sie nicht gut funktionieren.

Neues Denken und veränderte Prozesse

Die Krise als Chance zur Veränderung – doch nicht alle wollen sie ergreifen. „Wir sehen bei kleinen wie großen Organisationen und Unternehmen den Wunsch, schnellstmöglich in die Vor-Corona-Situation zu kommen, doch das wird nicht zu 100 Prozent gelingen“, bestätigt Jürgen Schmude, Professor für Tourismuswirtschaft an der TU München, der auch beim Center for Innovation & Sustainability in Tourism (cist) im Gremium zur wissenschaftlichen Begleitung der nationalen Tourismusstrategie mitgearbeitet hat. Auch auf die DMOs kommen nach Ansicht Schmudes neue Aufgaben zu: „Sie sind heute keine klassischen Marketing-, sondern eher Managementorganisationen, die Prozesse anstoßen und Besucherlenkungskonzepte umsetzen müssen.“ Die TMBW kümmert sich im Vergleich zu früher viel mehr um die Beratung der Partner, wie TMBW-Chef Braun bestätigt. Zwar habe es etliche Marketingaktivitäten und zwei große Restart-Kampagnen in den vergangenen Monaten gegeben – aber darüber hinaus eben auch viele Seminare und Leitfäden, beispielsweise für Ferienwohnungen und barrierefreien Tourismus, sowie eine neue strategische Ausrichtung der B2B-Kommunikation.

Die Pandemie ist längst nicht ausgestanden, der Krieg in der Ukraine hat die Welt verändert, so etwas wie Normalität scheint es nicht mehr zu geben. Denn dies sind nicht die einzigen Krisen, die bewältigt werden müssen: „Der Klimawandel ist eine größere Herausforderung als Corona und wird uns auch wesentlich länger beschäftigen“, sagt Jürgen Schmude. Mehr Hitzetage und Starkwetterereignisse, fehlende Schneesicherheit: „Die Szenarien der Forscher sind da“, erklärt er, „jetzt sind die Destinationen gefragt.“ Für Schmude von der TU in München ist Ramsau bei Berchtesgaden in der Hinsicht vorbildlich: „Der Ort nennt sich Bergsteigerdorf und steckt nichts mehr in die technische Ski-Infrastruktur, sondern setzt auf Wander- und Naturtourismus.“ Als Stadt könne man Grünflächen und Beschattungsinseln schaffen, um künftig die Aufenthaltsqualität zu verbessern. Der Fachmann mahnt: „Man muss jetzt anfangen, nachzudenken, wo man in 20 Jahren stehen will.“

Der Beitrag unserer Autorin Claudia List ist eine aktualisierte und gekürzte Fassung ihres Artikels in der jüngsten Ausgabe des Magazins „Tourismus Aktuell“. Darin informiert die TMBW zweimal im Jahr über aktuelle Trends und Entwicklungen im Tourismus. Das Magazin kann kostenlos bestellt oder abonniert werden.

Ansprechpartner für “Tourismus Aktuell”:
Dr. Martin Knauer
m.knauer@tourismus-bw.de



Autor(in): Tim Müller
Tourismus Marketing GmbH Baden-Württemberg
Projektmanager Kommunikation & Koordination
E-Mail: t.mueller@tourismus-bw.de


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