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Zu wenig Personal im Tourismus

22.04.2022

Der Arbeitskräftemangel ist in vielen Bereichen ein Problem. In Tourist-Informationen und Destinationsmanagementorganisationen (DMO) mangelt es aber zum Teil nicht an Interessierten. Vielmehr wurden Mitarbeitende in andere Bereiche abgezogen und Stellen gestrichen. Dabei bräuchten sie sogar mehr Personal, um die Branche fit für die Zukunft zu machen.

Wo früher kompetente Touristikfachleute Auskunft über einen Ort oder eine Region geben konnten, ist heute immer öfter niemand mehr zu erreichen. „Als wir im vergangenen Jahr wieder Pressereisen planen konnten, wurde die Organisation manchmal zum Balanceakt, weil in den Tourist-Informationen das Personal fehlte und niemand vor Ort war, der die Journalistinnen und Journalisten mit uns zusammen betreuen konnte“, sagt Martin Knauer, Pressesprecher der Tourismus Marketing GmbH Baden-Württemberg (TMBW).

Viele Mitarbeitende wurden mit Beginn der Pandemie und dem touristischen Shutdown in andere Bereiche abgezogen. „Und das wird auch so bleiben“, schätzt Christian Buer, der als Professor an der Hochschule Heilbronn lehrt und dort den Bereich „Tourismus & Hospitality“ leitet. Dank der Pandemie habe es ein ungeplantes „Job-Enrichment-Programm“ gegeben: Angestellte bekamen die Möglichkeit, etwas anderes kennenzulernen – mit dem Ergebnis, dass manche sich dort mittlerweile wohlfühlen und gar nicht mehr zurückkehren wollen. Andere haben sich aufgrund von Kurzarbeit einen neuen Job gesucht. „Der Tourismus ist außerdem eine Branche mit vielen Kontakten. Die Menschen, die dort arbeiten, sind keine introvertierten Persönlichkeiten“, sagt Buer. „Sie wollen nicht im Homeoffice am Bildschirm sitzen, sondern raus! Dieser Prozess fällt uns jetzt auf die Füße.“ Sie zurückzubekommen, werde wahnsinnig schwer, „die Lücke zu schließen, wird mindestens zwei Jahre brauchen!“

Gespart wird am Tourismus

Allerdings gibt es auch Fälle, in denen die Menschen zwar gerne zurückkehren würden, aber nicht mehr können, weil ihre Stellen gekürzt oder ganz gestrichen wurden. TMBW-Geschäftsführer Andreas Braun wurde deshalb schon von manchen Tourismusverantwortlichen gefragt, ob er nicht mal mit ihrem Bürgermeister sprechen könnte. „Die Pandemie stellte die Kommunen vor gewaltige Herausforderungen. Ich kann durchaus verstehen, dass Leute aus dem Tourismus abgezogen wurden“, sagt Braun. „Dass dies aber zum Dauerzustand wird und der Tourismus so wenig geschätzt wird, ist ein fatales Signal für die Branche im Land.“

Das ist quer durch alle Bundesländer zu sehen. Selbst in einer Stadt wie Jena mit über 100.000 Einwohnern sah das Haushaltssicherungskonzept Ende 2020 vor, die Tourist-Information komplett zu schließen. Ein umstrittener Vorschlag, den die Stadtverwaltung wenige Wochen später zurücknahm, nachdem das Land Thüringen den Kommunen zusätzliche finanzielle Mittel zugesagt hatte. Christine Garbe, die viele Jahre in der Tourismusberatung tätig war und beim Deutschen Seminar für Tourismus in Berlin (DSFT) unter anderem das Projekt „Next Generation Tourism Alliance“ leitet, sieht die Entwicklung ebenfalls kritisch: „Immer mehr Aufgaben werden vom Landkreis auf die Gemeinden abgewälzt – und als Folge beschneiden sie dort freiwillige Aufgaben, wie den Tourismus. Das wird nicht funktionieren!“ Die Folge sei ein gewaltiger Kompetenzverlust in Orten und Landkreisen – und damit gibt es auch keine fachkundige Unterstützung der touristischen Leistungsträger mehr vor Ort. Dabei sind Tourismusexperten wie Christian Buer überzeugt: „Angesichts der Herausforderungen wären künftig eher mehr als weniger Mitarbeiter notwendig.“

Ohne Arbeitskräfte keine Digitalisierung

Ganz vorne auf der Liste steht dabei die Digitalisierung: „Alle sprechen davon, doch sie muss vor Ort auch gelebt werden“, erklärt Andras Braun. Die TMBW versucht, bei diesem Thema Hilfestellung zu geben. Mit der Agentur „Land in Sicht“ hat sie in den vergangenen Monaten Dutzende Online-Seminare angeboten, um Lücken zu schließen. Doch letztendlich muss vor Ort aufgerüstet werden – nicht nur technisch. Zusätzliches Personal ist notwendig, vorhandene Kapazitäten müssen umgeschichtet und mit neuen Aufgaben betraut werden. „Künftig ist weniger der persönliche Kontakt in der Tourist-Information gefragt, sondern die Kommunikation über Social Media. Auch Koordinations- und Managementaufgaben werden wichtiger“, sagt Branchenkenner Christian Buer.

Dem stimmt auch Wolfgang Weiler zu, Pressesprecher der Schwarzwald Tourismus GmbH (STG). Seiner Erfahrung nach kommen heute im Schwarzwald immer weniger Gäste in die Tourist-Information und fragen um Rat. Viele machen sich vorab übers Web schlau – und gute Tipps vor Ort können nach Ansicht Weilers auch die Gastgeber bieten.

„Es fehlen aber Fachkräfte, die den Tourismus digitalisieren und modernisieren“, urteilt er. Neben großen Einheiten wie dem Hochschwarzwald mit seinen rund 100 Angestellten gebe es viele kleinteilige Strukturen im Schwarzwald: Tourismus ist da auch mal im Vorzimmer des Bürgermeisters oder bei der Wirtschaftsförderung angesiedelt. „Das kann aber künftig nicht nebenbei gemacht werden“, betont Weiler. Außerdem brauche es nicht in jedem Dorf einen eigenen Tourismusverantwortlichen, sondern größere Einheiten. „Gästewerbung und Digitalisierung können zentral gesteuert werden, wie es im Hochschwarzwald der Fall ist“, erklärt er.

Tourismus ist keine Selbstverständlichkeit

Eine der neuen, dringlichen Aufgaben ist das Datenmanagement. Andreas Braun führt als Beispiel die Freizeitampel Baden-Württemberg an. Sie kann nur dann funktionieren, wenn sie mit den entsprechenden Daten gefüttert wird – was in den vergangenen Monaten in manchen Regionen vorbildlich, in manchen gar nicht der Fall war. Noch ist die automatische Erfassung, wie sie im Europa-Park, in Skigebieten und zum Teil bei Parkraummanagement-Unternehmen möglich ist, in vielen Feldern Zukunftsmusik. Also müssen Daten händisch erfasst werden. Nur dann können Ausflüglerinnen und Ausflügler sehen, ob der Parkplatz bei einer Loipe schon überfüllt ist und welche weniger bekannte Tour sie ansteuern könnten. Im schneereichen Lockdown-Winter 2020/21 waren dies hilfreiche Informationen, die auch zur Besucherlenkung beigetragen haben. „Im Moment sind wir stolz darauf, dass die Akzeptanz der Bevölkerung für den Tourismus in Baden-Württemberg etwas besser ist als im Bundesdurchschnitt“, sagt Andreas Braun, „wir müssen aber aufpassen, dass sie durch neue Hotspots nicht beeinträchtigt wird.“

Allerdings fehlt die Akzeptanz offenbar an anderen Stellen, nämlich bei politischen Entscheidungsträgerinnen und -trägern. Die mangelnde Wertschätzung beklagt auch Jürgen Schmude, Professor für Tourismuswirtschaft an der Universität München und Präsident der Deutschen Gesellschaft für Tourismuswissenschaft (DGT). Dafür gibt es aus seiner Sicht zwei Ursachen: Zum einen war der Tourismus in den vergangenen 20 Jahren eine Erfolgsgeschichte. „Warum also sollte man sich darum kümmern?“ Zum anderen wird die wirtschaftliche Bedeutung nach wie vor unterschätzt: „Dabei haben wir fast so viele Arbeitsplätze im Tourismus wie in der Automobilindustrie“, sagt er. Letztere spricht allerdings mit einer Stimme und steckt viel Geld in Lobbyarbeit. Der Tourismus hingegen ist eine Querschnittsbranche und es gibt nicht den einen Verband, der die Interessen vertritt, sondern viele verschiedene. „Bei diesem Thema“, sagt auch Andreas Braun, „werden wir immer weiterkämpfen müssen.“

Der Beitrag unserer Autorin Claudia List ist eine gekürzte Fassung ihres Artikels in der jüngsten Ausgabe des Magazins „Tourismus Aktuell“. Darin informiert die TMBW zweimal im Jahr über aktuelle Trends und Entwicklungen im Tourismus. Das Magazin kann kostenlos bestellt oder abonniert werden.

Ansprechpartner für “Tourismus Aktuell”:
Dr. Martin Knauer
m.knauer@tourismus-bw.de



Autor(in): Tim Müller
Tourismus Marketing GmbH Baden-Württemberg
Projektmanager Kommunikation & Koordination
E-Mail: t.mueller@tourismus-bw.de


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