Das Schlagwort Künstliche Intelligenz (KI) oder Artificial Intelligence (AI) taucht in touristischen Debatten aktuell regelmäßig auf, häufig jedoch in einem falschen Zusammenhang und manchmal mit überzogenen Erwartungen. So lautet eine Erkenntnis der jüngsten Videosprechstunde „TMBW Branchen-Talk“, zu der die Tourismus Marketing GmbH Baden-Württemberg (TMBW) am vergangenen Dienstag eingeladen hatte. Das Interesse an der Veranstaltung war groß, ebenso wie das Bedürfnis, mehr über Definition, Herausforderungen und Anwendungsmöglichkeiten zu erfahren.
Im Gespräch mit den beiden KI-Experten Prof. Dr. Wolfram Höpken und Prof. Dr. Michael Prange tauschte sich TMBW-Geschäftsführer Andreas Braun über mögliche Perspektiven dieser technologischen Entwicklung aus.
Bereits auf die Frage der Definition gab es erhellende Antworten: „Bei Künstlicher Intelligenz geht es darum, dass IT-Systeme menschliche Intelligenz simulieren, sich also ähnlich wie Menschen verhalten“, stellte Michael Prange eingangs fest. Zu den Teilaspekten von KI gehörten wiederum Bereiche wie maschinelles Lernen oder Deep Learning. Allerdings werde der Begriff heute inflationär verwendet, zum Teil auch in Bereichen, die dieser Definition nicht immer standhalten. Wolfram Höpken ergänzte: „Künstliche Intelligenz wird oft sehr weit gefasst und kaum abgegrenzt. Zentral ist dabei, dass es sich um selbstlernende Systeme handelt.“ Dies sei allerdings oft nicht gegeben, der Begriff werde daher häufig falsch verwendet.
Künstliche Intelligenz in der Praxis
Doch Anwendungsbeispiele für Künstliche Intelligenz im engeren Sinne gibt es neben der Medizintechnik oder Finanzindustrie auch bereits im Tourismus. So wird sie etwa erfolgreich bei Flugbuchungen – zur Optimierung von Auslastung und Umsatz – oder in der Hotellerie bei der dynamischen Preisgestaltung eingesetzt, worauf Wolfram Höpken hinwies. In beiden Fällen kommen Daten aus der Vergangenheit zum Einsatz, aus denen das jeweilige System lernt und Rückschlüsse auf künftiges Gästeverhalten zieht.
Ein aktuelles Forschungsprojekt zum KI-gestützten Besuchermanagement stellte sein Fachkollege Michael Prange vor: Das von ihm geleitete Projekt AI-basierter Recommender für nachhaltigen Tourismus (AIR) entstand im ersten Pandemie-Sommer ursprünglich mit dem Ziel, Besucherströme an den deutschen Küsten zu entzerren. Inzwischen konnte es bundesweit auf Destinationen ausgeweitet werden und trägt dazu bei, an touristischen Hotspots frühzeitig auf ein hohes Gästeaufkommen hinzuweisen, Prognosen zu formulieren und Alternativen anzubieten. Um die erforderlichen Daten zu erheben, kommen unter anderem smarte Sensoren zur Frequenzmessung zum Einsatz.
Ohne Daten keine KI
Das Thema Daten zog sich wie ein roter Faden durch die Diskussion. Dabei herrschte breite Einigkeit darüber, dass die Datenlage im Tourismus meist noch viel zu dünn ist, dass vor allem offene Daten fehlen. „Daten sind die Grundlage für jeden Algorithmus“, so etwa Michael Prange, „es kann also nur im Interesse jeder Destination sein, Daten ausreichend und vor allem in hoher Qualität zu erheben, zu pflegen, sie frei zur Verfügung zu stellen und nicht in Daten-Silos verschwinden zu lassen“. Der Professor für Data Science formulierte einen dringenden Appell an die Tourismusbranche, das Thema endlich auch als Managementaufgabe ernst zu nehmen. Hier solle man sich ein Beispiel an anderen Branchen nehmen, wo an der Unternehmensspitze immer öfter ein Chief Data Officer die Verantwortung für Datenmanagement übernehme.
In der Diskussion wurde auch thematisiert, dass viele Betriebe und Leistungsträger die Notwendigkeit von Datenpflege – insbesondere als Erfolgsfaktor im digitalen Marketing – noch immer nicht erkannt haben. Dabei wurde einerseits deutlich, dass den Betrieben diese Aufgabe nicht abgenommen werden kann, dass diese von Destinationen oder Verbänden aber auch noch besser geschult werden müssten. Andreas Braun verwies in diesem Zusammenhang einmal mehr auf die touristische Datenbank „mein.toubiz“ und auf die Notwendigkeit, diese vor Ort mit Daten zu füttern und laufend aktuell zu halten. „Wir predigen es seit Jahren, wir brauchen Daten, Daten, Daten. Die Diskussion um KI führt uns wieder mal vor Augen, wie sehr wir hier teilweise noch hinterherhängen.“
Doch um eine breite Datenbasis zu gewährleisten und um Mehraufwände durch manuelle und schlimmstenfalls doppelte Datenpflege verhindern zu können, sind entsprechende Kriterien bei der Wahl von Systemen und IT-Dienstleistern unumgänglich. Zukunftsfähig sind hier nur Systeme mit offenen Daten und Schnittstellen, so der Konsens der Experten. Erfolgsentscheidend sei dabei zudem eine Einigung der Branche auf einheitliche Standards und Ontologien. Deutlich wurde aber auch eines: Dieser Prozess kann nicht über Nacht abgeschlossen werden, sondern erfordert Zusammenhalt, Kompromissbereitschaft und Durchhaltevermögen.
(Un)begrenzte Möglichkeiten
Auch beim Blick auf mögliche künftige Anwendungen der Künstlichen Intelligenz spielte das Thema Datenerhebung eine zentrale Rolle. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des „TMBW Branchen-Talks“ formulierten die Hoffnung, dass automatisierte Anwendungen hierbei künftig unterstützen sowie Arbeitsabläufe vereinfachen könnten. Noch sei es nicht so weit, da mussten die beiden KI-Experten so manche Hoffnung enttäuschen.
Doch mit dem neuen Knowledge-Graph, der aktuell unter der Federführung der Deutschen Zentrale für Tourismus (DZT) gemeinsam mit den Landesmarketingorganisationen (LMO) entwickelt wird, dürfte manches einfacher werden. „Wir arbeiten in diesem Projekt gerade daran, dass die gepflegten Daten künftig automatisiert angereichert werden“, stellte die TMBW-Datenexpertin Susanne Bleibel in Aussicht. Als Beispiele nannte sie die eigenständige Ergänzung von Geodaten, Bilderkennung oder die automatisierte Übersetzung von Texten. Dies werde den Personen, die vor Ort die Daten pflegen, die Arbeit erheblich erleichtern. „Wir beobachten laufend die technische Entwicklung“, so Bleibel, „um neue Tools zu integrieren und den Prozess der Datenpflege zu vereinfachen“. Doch bei allem technischen Fortschritt könne die manuelle Datenpflege auch perspektivisch nicht gänzlich abgelöst werden.
In einer abschließenden Kurzumfrage gingen die Teilnehmenden mehrheitlich davon aus, dass Künstliche Intelligenz ihre Arbeit in den kommenden Jahren grundlegend verändern werde. Auch beim Blick auf künftige KI-Anwendungen sind der Fantasie keine Grenzen gesetzt. Die Wünsche und Erwartungen reichen von Parkplatz- und Besuchermanagement über automatisierte Empfehlungen für Gäste bis hin zu intelligenten Sprachassistenz-Systemen. Damit aus all diesen Wünschen reale Projekte werden, braucht die Tourismusbranche aber zunächst vor allem eines: noch viel mehr und vor allem die richtigen Daten. Diese Aufgabe liegt weiterhin zum Großteil in der Verantwortung jedes einzelnen Unternehmens und jeder einzelnen Destination.