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Wenn das Geld für Urlaub knapp wird

14.03.2023

Energiepreise steigen, die Inflationsrate auch, die Menschen haben immer weniger Geld in der Tasche: Welche Auswirkungen hat das auf den Tourismus, die Angebote und das Reiseverhalten? Die ersten Studien zum Reisejahr 2023 machen Hoffnung, doch es gibt viele Unwägbarkeiten.

Endlich. Die Corona-Krise scheint vorbei zu sein. Als ob es niemals eine Pandemie gegeben hätte, strömten die Menschen in die Messehallen der CMT in Stuttgart. Die weltgrößte Publikumsmesse für Caravan und Touristik erreichte wieder überdurchschnittliche Besucherzahlen, nicht wenige der Aussteller gerieten ins Schwärmen. „Die Sehnsucht nach Reisen war überall zu spüren“, stellte Messesprecher Axel Recht mit Zufriedenheit fest und auch Erik Neumeyer, stellvertretender Geschäftsführer des Deutschen Wanderverbands, zeigte sich beeindruckt: „Es gibt offenbar einen Nachholbedarf.“
Bei der CMT präsentierte der Tourismusforscher Martin Lohmann auch die ersten Ergebnisse der FUR-Reiseanalyse (Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reisen). Die machen durchaus Mut, von einem Verzicht auf Urlaub wegen Inflation, Energiekosten und Ukraine-Krieg kann erstmal keine Rede sein.
Andere Studien kommen zu einem ähnlichen Ergebnis. Die Tourismusanalyse der BAT-Zukunftsstiftung prophezeit für 2023 gar ein Rekordjahr, stärker noch als 2019. Auch Torsten Kirstges, Professor für Tourismuswirtschaft an der Jade-Hochschule Wilhelmshaven, sieht keine längerfristigen Veränderungen im Reiseverhalten: „Szenarien eines Paradigmenwechsels geistern immer wieder durch die Presselandschaft, ich glaube aber nicht, dass sich das Urlaubsverhalten kurz- und mittelfristig ändern wird.“

Sehnsucht nach Urlaub

Offenbar gehört der Urlaub längst zu den Grundbedürfnissen der Menschen. Die allermeisten wollen sich diese Auszeit nicht nehmen lassen, schon gar nicht, nachdem sie pandemiebedingt so lange darauf verzichten mussten. Das sieht auch Andreas Braun, Geschäftsführer der Tourismus Marketing GmbH Baden-Württemberg (TMBW) so: „Da bin ich zuversichtlich, für viele ist das eine Kraftquelle, eine wichtige Perspektive.“
So einig sich die Fachleute darin sind, dass die Menschen 2023 auf jeden Fall reisen werden, so unklar ist jedoch, in welchem Umfang sie dies tun. Vor allem die Urlaubslänge, die Häufigkeit und die Ausgaben sind Variablen, die sich angesichts knapper werdender finanzieller Mittel verändern könnten, mit spürbaren Auswirkungen für die Branche.
So stellt auch Christian Leetz, Herausgeber des Branchendienstes Tourismus-News Deutschland, einen Zweckoptimismus bei vielen Verbänden fest: „Man will ja die Lage nicht schlechter reden, als sie ohnehin ist.“ So kommt etwa eine Studie des Bayerischen Zentrums für Tourismus (BZT) vom Dezember 2022 zu kritischeren Ergebnissen: Dort rangieren Restaurantbesuche und Urlaubsreisen relativ weit oben (Plätze drei und vier), wenn es um die Einspar-Prioritäten der Menschen geht.
27 Prozent der Befragten fühlen sich laut BZT von den gestiegenen Preisen „stark belastet“, bei 20 Prozent steht der Urlaub ernsthaft infrage. Die Hälfte dieser besonders betroffenen Gruppe wolle eventuell ganz aufs Reisen verzichten, der Rest bei den Ausgaben im Urlaub sparen.
Vor allem Letzteres könnte die Urlaubsanbieter treffen. Denn auch weniger pessimistische Studien kommen zu dem Ergebnis, dass die Menschen 2023 zwar reisen werden, aber die Preissensibilität erheblich zunehmen wird.
So hat eine Befragung der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft PwC Deutschland im November 2022 ergeben, dass die Lust auf Urlaub zwar zurückgekehrt ist, aber nicht auf demselben Ausgabenniveau wie früher. Vor allem bei Deutschland-Reisen haben die PwC-Meinungsforscherinnen und -forscher eine Tendenz zur Zurückhaltung festgestellt. Zwar würden diese vergleichsweise häufig gebucht, aber mit der Neigung, das Kostenniveau zu senken: Billigere Unterkünfte, Reduzierung der Ausgaben vor Ort, Verkürzung der Aufenthaltsdauer.

Kurzurlaube fallen eher weg

Das könnte vor allem Hotels, Restaurants und Freizeitparks empfindlich treffen, zumal viele Haushalte die Folgen der Kostenexplosion im Energiebereich erst am Ende dieses Winters zu spüren bekommen werden. „Es wird sich auswirken, wir werden ein verschärftes Preisbewusstsein erleben“, sagt auch TMBW-Geschäftsführer Andreas Braun: „Dann bucht man halt eine Kategorie niedriger und streicht den einen oder anderen Kurzurlaub.“
Von dem haben in der Vergangenheit nicht zuletzt viele Ziele in Deutschland profitiert. Das verlängerte Wellnesswochenende oder der kleine Wanderurlaub im eigenen Land ergänzten oft die Haupturlaubsreise im Ausland. Selbst wenn diese also nicht infrage steht, der Zweit- oder der Dritturlaub könnte durchaus davon betroffen sein und ersatzlos gestrichen werden.
Freilich haben sich viele Negativerwartungen der vergangenen Wochen und Monate auch nicht erfüllt. Der Energienotstand ist ausgeblieben und die Gasversorgung nicht zusammengebrochen. Weder mussten Thermen noch andere öffentliche Einrichtungen in nennenswertem Umfang schließen und die Preise an den Tankstellen sind nach steilem Anstieg in den letzten Wochen wieder spürbar gesunken.
So hat sich auch die Stimmung in der Hotel- und Gaststättenbranche deutlich verbessert. Gingen zum Jahresanfang noch 45 Prozent der Befragten von schlechteren Geschäften aus, so waren es Mitte Februar 2023 nur noch 27 Prozent. Das bestätigt auch der Sprecher des DEHOGA-Landesverbandes Baden-Württemberg Daniel Ohl: „Den befürchteten Nachfrageeinbruch hat es nicht gegeben.“ Im Gegenteil, die Gäste kamen in großer Zahl wieder zurück und sind ganz offenbar auch bereit, Geld auszugeben. Das Weihnachts- und Silvestergeschäft sei sehr gut gewesen, bundesweit liegt die Branche Stand Januar 2023 nur noch 6,6 Prozent hinter den Umsätzen des Jahres 2019.

Das Ausbleiben der Gäste ist also nicht ihr Problem, die hohen Energiekosten sind es schon. Um bis zu 80 Prozent sind sie gestiegen und das in einem Wirtschaftsbereich, der davon in hohem Maße abhängig ist. Küche, Wellness, die Beleuchtung und Heizung von Zimmern und Gasträumen – all das kann man im laufenden Betrieb kaum zurückfahren.
Zu Beginn der Krise hatten einzelne Häuser wie das Hotel Bareiss in Baiersbronn deshalb einen Energiekostenzuschlag erhoben. Ein Beispiel, das freilich keine Schule machte, „auch wenn rechtlich dagegen nichts einzuwenden ist“, wie Daniel Ohl vom DEHOGA erklärt: „Es muss transparent sein und begründet werden.“ Dann hätten die Gäste dafür im Einzelfall auch Verständnis.

Hilfe für Betriebe

Die Landesregierung Baden-Württemberg hat für Betriebe, die von der Energiekrise besonders betroffen sind, neue Liquiditätshilfen, Härtefallhilfen sowie eine Krisenberatung zur Energiekostenentlastung eingerichtet.
Informationen zu diesen Hilfsprogrammen sowie weiterführende Links zu gesetzlichen Grundlagen und Energiespartipps gibt es auf einer Sonderseite im Tourismusnetzwerk Baden-Württemberg.

Sie sind ohnehin bereit, im Zweifel mehr Geld zu bezahlen. Viel heikler hingegen ist, wenn die Leistung und das Angebot spürbar abgesenkt werden, das mussten einige Mineralbadbetreiber schmerzlich erfahren. Dort gab es im Vorfeld des Winters eine Vielzahl von Diskussionen, inwieweit das bisherige Angebot so noch Bestand haben könne.
Bäder wie die Albtherme in Waldbronn bei Karlsruhe haben sich dabei für eine Aufrechterhaltung des Betriebs ausgesprochen, bei gleichzeitiger Reduzierung des Energieverbrauchs. „20 Prozent waren das Ziel, so wie es das Land Baden-Württemberg empfohlen hat“, sagt Karin Zahn-Paulsen von der dortigen Kurverwaltung. In der Praxis bedeutete dies, dass zwei der Saunen geschlossen und die Temperatur im Außenbecken um drei Grad gesenkt wurde – von 35 auf 32 Grad. Das kam bei der Kundschaft überhaupt nicht gut an, immer wieder gab es böse Zuschriften, frei nach dem Motto: Während Politikerinnen und Politiker im Warmen sitzen, müssen wir frieren.
Auch der Geschäftsführer der European Water Park Associaton (EWA), Klaus Batz, sieht die Absenkung der Wassertemperaturen kritisch: „Vor allem Kinder und ältere Menschen werden dann nicht mehr kommen.“ Eine ernüchternde Erfahrung für die Waldbronner und alle anderen, die versucht haben, Energie zu sparen. Zumal die Maßnahmen im Land sehr uneinheitlich umgesetzt wurden und viele sich nicht im gleichen Umfang daran beteiligt haben.
Immerhin konnten bis jetzt alle großen und touristisch relevanten Bäder in Baden-Württemberg offenbleiben. Bundesweit sieht das zum Teil ganz anders aus, wie etwa die Schließung der Dünen-Thermen im schleswig-holsteinischen St. Peter-Ording zeigt: Dort wurde wegen ausufernder Energiekosten am 18. Januar der Badebetrieb eingestellt, erst an Ostern soll wieder geöffnet werden.
Wäre dasselbe in den großen Wellness-Hotels passiert, würde dies ihr Geschäftsmodell erheblich gefährden. Entsprechend zurückhaltend war man dort damit, das Angebot zurückzufahren: Immerhin kommen nicht wenige Gäste in den kalten Monaten genau deswegen dorthin. „Das Gute ist“, so DEHOGA-Sprecher Daniel Ohl, „dass zahlreiche dieser energieintensiven Betriebe schon vor der Krise ihre Energie-Effizienz nachhaltig verbessert haben, das zahlt sich jetzt aus.”

Doch nichts als Panikmache?

Viele hoffen nun natürlich, dass die Themen Energiekrise und Inflation ein vorübergehendes Phänomen sind. War es nicht auch bisher so, dass einer großen Aufregung schon bald die Normalisierung folgte und der Beginn eines Zeitalters des Verzichts, das viele bereits kommen sehen, in Wahrheit wieder mal viel Wind um nichts ist, die übliche Panikmache?
Das mag in Teilen so sein und doch gibt es Hinweise, dass gerade das Thema Energie zu einem Dauerbrenner werden könnte. Definitiv vorbei sind nach Meinung der meisten Reisefachleute die Zeiten billiger Flüge. Fern- und Flugreisen dürften wohl auch langfristig teuer bleiben, ein Preiskampf der Billigflieger wie vor 20 Jahren ist auch angesichts der Klimadiskussion so nicht mehr denkbar.
Die Berliner Journalistin Ulrike Hermann äußert in ihrem 2022 erschienenen Buch „Das Ende des Kapitalismus“ denn auch erhebliche Zweifel an der These, dass Klimaschutz und wirtschaftliches Wachstum miteinander zu vereinbaren sind. Ihrer Einschätzung nach wird die Energiewende teuer und nicht ohne Verzicht einhergehen, wenn die Klimaziele erreicht werden sollen.
Sie gebraucht dabei den Begriff der Rationierung, bei dem bestimmte Güter eben nicht mehr grenzenlos zur Verfügung stehen: Zu ihnen gehören auch Flüge, Autos, Zweit- und Ferienwohnungen – allesamt Dinge, die elementar für den Tourismus sind. Der soll nach Meinung der Autorin zwar weiterhin stattfinden können, aber eben nicht mehr nach den reinen Gesetzen des Marktes. Ihr Fazit: „Klimaschutz ist nur möglich, wenn die Wirtschaft schrumpft.“ Und natürlich ist auch der Reiseverkehr Teil dieser Wirtschaft.
Ob von der langfristigen Entwicklung letztlich die Deutschland-Ziele mehr profitieren werden als die Destinationen im Ausland, ist derzeit schwer zu sagen. Die Deutschen gehen auch gerne über Grenzen, vor allem, wenn sie so nah sind wie in Baden-Württemberg. Schließlich liegen die Urlaubsziele in Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein weiter weg als die in Österreich oder der Schweiz.
Umgekehrt lebt auch der Tourismus in Baden-Württemberg davon, dass Menschen aus dem Ausland hierherkommen, um Urlaub zu machen. Das ist ja nun auch wieder möglich, die letzten Einschränkungen, die es durch die Corona-Krise gegeben hat, sind gefallen und viele Gäste genießen es auch, nun wieder in ihre altbekannten Urlaubsgebiete fahren zu dürfen.
Wenn sie das künftig nicht mehr ganz so lange tun, dann ist selbst das keine neue Entwicklung: „Den Trend zur Verkürzung des Haupturlaubs beobachten wir schon seit vielen Jahren“, sagt der Tourismusexperte Torsten Kirstges. Er zeigt sich überdies bei den Kurz- und Wellnessreisen optimistisch: „Wer sich bisher einen Wellnessaufenthalt für 700 Euro leisten konnte, der wird auch bei einer Erhöhung auf 750 Euro nicht wegbleiben.“
Das größte Problem für die touristische Zukunft sieht Christian Leetz von Tourismus-News Deutschland denn auch keineswegs im Wegbleiben der Kundschaft, sondern in der immer drastischer werdenden Personalknappheit: „Die Qualität leidet an vielen Stellen bereits jetzt sichtbar, das kann für Deutschland in den kommenden Jahren zu einem massiven Wettbewerbsnachteil werden.“

Der Beitrag unseres Autors Andreas Steidel ist eine gekürzte Fassung seines Artikels in der jüngsten Ausgabe des Magazins „Tourismus Aktuell“. Darin informiert die TMBW zweimal im Jahr über aktuelle Trends und Entwicklungen im Tourismus. Das Magazin kann kostenlos heruntergeladen, bestellt oder abonniert werden.

Ansprechpartner für “Tourismus Aktuell”:
Dr. Martin Knauer
m.knauer@tourismus-bw.de



Autor(in): Tim Müller
Tourismus Marketing GmbH Baden-Württemberg
Projektmanager Kommunikation & Koordination
E-Mail: t.mueller@tourismus-bw.de


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