Jährlich präsentiert der Tourismusforscher Martin Lohmann die Ergebnisse der FUR-Reiseanalyse auf der CMT in Stuttgart. Wie schätzt er die Entwicklung in Zeiten von Inflation, Energiekrise und spürbaren Einkommensverlusten ein?
Jährlich präsentiert der Tourismusforscher Martin Lohmann die Ergebnisse der FUR-Reiseanalyse auf der CMT in Stuttgart. Wie schätzt er die Entwicklung in Zeiten von Inflation, Energiekrise und spürbaren Einkommensverlusten ein?
Herr Lohmann, das Geld wird bei den Menschen knapper. Werden viele deshalb 2023 auf ihre Urlaubsreise verzichten?
Auf keinen Fall. Krisen gab es schon immer und trotzdem sind die Menschen stets auch gereist. Corona war da eine Ausnahme, weil vieles ja schlicht verboten war. Aber selbst da fand Tourismus in beschränktem Umfang statt. Reisen ist einerseits Luxus, andererseits aber auch etwas, an das wir uns sehr gewöhnt haben. Es gehört zum Leben dazu.
Ist die Urlaubsreise also heute ein Grundbedürfnis?
Es ist tatsächlich eine Selbstverständlichkeit, die ihren Platz im Jahreslauf hat wie der Tannenbaum an Weihnachten. Das stellt auch kaum einer infrage. Es geht nicht darum, ob man eine Urlaubsreise macht, sondern nur wann, wo und mit wem.
Aber man muss es ja auch bezahlen können.
Die wirtschaftlichen Herausforderungen stellen diese Selbstverständlichkeit für einige in Frage, für die allermeisten aber nicht. Man muss das differenzieren: Es gibt in den einkommensschwachen Bereichen tatsächlich Menschen, bei denen es eng wird, die sich einen Urlaub eventuell nicht leisten können. Das war aber auch schon vorher so. Die meisten, die regelmäßig reisen, haben damit auch kein Problem, wenn die Preise steigen. Tatsächlich ist ja der Anteil der Reiseausgaben am Haushaltsnettoeinkommen in den vergangenen zwei Jahrzehnten gesunken, von neun auf sechs Prozent. Es gibt da also durchaus noch Spielräume, die mit Sicherheit genutzt werden.
Okay, die Leute gehen trotzdem in Urlaub. Aber machen sie das in Zukunft vielleicht seltener?
Das glaube ich nicht. Die meisten machen ohnehin nur eine Urlaubsreise pro Jahr und die, die sich zwei oder drei Urlaube leisten können, sind zumeist so vermögend, dass sie unter den Kostensteigerungen wenig leiden.
Aber sie geben vor Ort vielleicht nicht so viel Geld aus?
Es könnte sein, dass man bei der Quartierswahl auf den Preis achtet und vielleicht eine Kategorie billiger bucht. Mit den Ausgaben im Urlaub ist es eher so, dass viele den Vorsatz haben, zu sparen, aber vor Ort wird das selten durchgehalten. Das zweite Glas Wein und der Nachtisch sind halt doch sehr verlockend.
Spart man am Ende dann vielleicht doch lieber irgendwo anders als beim Urlaub?
Bei den Konsumprioritäten steht der Urlaub tatsächlich auf Platz zwei. Zumindest die Haupturlaubsreise ist sakrosankt und steht nicht zur Debatte. Bei den Kurzreisen und Wochenendreisen ist das ein bisschen anders, die rangieren wesentlich weiter unten.
Also ist der Kurztrip, das Städte- und Wellnesswochenende dann doch gefährdeter als der Haupturlaub?
Ja, wenn man schon auf Urlaub verzichtet, dann eher darauf. Das ist nicht so zentral im Leben der Menschen.
Gibt es eigentlich nach dem Ende der Corona-Krise einen Nachholbedarf, was das Reisen angeht?
In Grenzen. Bei Flugreisen und Fernreisen könnte das der Fall sein, im Inland und in Europa wurde ja auch in der Corona-Zeit gereist. Man sollte nicht so tun, als habe es während der Pandemie gar keinen Tourismus gegeben.
Bei den Flug- und Fernreisen gibt es allerdings noch ein weiteres Thema, das den Aufschwung bremsen könnte – die Klimadiskussion.
Interessant ist, dass der Anteil der Flugreisen bei den 14- bis 30-Jährigen in den letzten Jahren nicht abgenommen hat. Da gibt es womöglich einen Unterschied zwischen Anspruch und Wirklichkeit oder es zeigt eben, dass bei weitem nicht alle jungen Menschen Teil der Klimabewegung sind. Aktuell ist die Nachfrage nach Fernreisen allerdings noch verhalten. Die Klimadiskussion mag ein Grund sein, stark gestiegene Flugpreise ein anderer. Ich gehe aber davon aus, dass sich das langfristig wieder normalisieren wird. Der Anteil der Fernreisen betrug ohnehin nie mehr als acht Prozent.
Dieses Interview unseres Autors Andres Steidel ist erschienen in der jüngsten Ausgabe des Magazins „Tourismus Aktuell“. Darin informiert die TMBW zweimal im Jahr über aktuelle Trends und Entwicklungen im Tourismus. Das Magazin kann kostenlos bestellt oder abonniert werden.
Ansprechpartner für “Tourismus Aktuell”:
Dr. Martin Knauer
m.knauer@tourismus-bw.de