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Der Kampf ums Personal

05.05.2023
©Quelle: Europa-Park, Hans-Jörg Haas

Immer mehr Betriebe im Tourismus klagen über Fachkräfte- und Personalmangel. Vor allem in jüngeren Generationen hat sich die Einstellung gegenüber dem Thema Arbeit gewandelt. Doch wie kann es gelingen, Mitarbeitende zu gewinnen und wie ticken die Bewerberinnen und Bewerber von heute? Ein komplexes Thema, für das es keine einfachen Lösungen gibt.

Die Wochenzeitung „Die Zeit“ hat in einer ihrer Dezemberausgaben 2022 eine Vielzahl von Personalberatungsagenturen befragt. Wie ist das, wenn sich heute junge Menschen auf eine Arbeitsstelle bewerben? Die Antwort darauf fällt ziemlich eindeutig aus: Die Angst vor Arbeitslosigkeit gibt es nicht mehr. Inzwischen diktieren Bewerberinnen und Bewerber die Bedingungen.
Das ist noch längst nicht bei allen Führungskräften angekommen. So schildert in besagter Publikation ein Personalberater folgende Situation in einem Auswahlgespräch für eine Stelle in einem baden-württembergischen Maschinenbauunternehmen: Die Chefetage fragte den potenziellen Mitarbeiter, warum ihn der Job interessiere und wieso er sich für geeignet halte. Darauf habe er geantwortet: Das wisse er noch gar nicht, ob er die Stelle interessant finde, und stellte stattdessen dem Unternehmen Fragen. Da sei dem Personalchef die Kinnlade runtergeklappt.
Rund die Hälfte aller Firmen klagt nach einer Umfrage des Ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung über Probleme bei der Personalakquise. Man findet schlicht niemanden mehr für die ausgeschriebenen Stellen, ein Problem, das mit dem demographischen Wandel und der sich abzeichnenden Ruhestandswelle der Baby-Boomer kaum geringer werden wird.

Vielversprechende Signale

Ein Wirtschaftszweig, der schon seit Jahren unter Fachkräftemangelmangel und Personalknappheit leidet, ist die Hotel- und Gaststättenbranche. Doch ausgerechnet da gibt es 2023 positive Nachrichten: Ein Plus von 27 Prozent bei der Besetzung von Ausbildungsstellen hat es 2022 in Baden-Württemberg gegeben, 25.000 neue Verträge wurden abgeschlossen. „Keine Entwarnung, aber ein Hoffnungszeichen“, wie Daniel Ohl, Sprecher des DEHOGA-Landesverbands, betont.
Für Ohl ist dieser Trend kein Zufall, sondern das Ergebnis großer Anstrengungen, die es 2022 gegeben habe: So beinhaltet der neue Entgelttarif Steigerungen im zweistelligen Prozentbereich bei den Ausbildungsvergütungen. Ferner wurden die gastgewerblichen Berufe neu geordnet und in ihrer Ausbildungslänge flexibilisiert: Es gibt vermehrt zweijährige Ausbildungsoptionen mit deutlich niedrigeren Hürden – eine Regelung, die nicht zuletzt auch Menschen mit Migrationshintergrund zugutekommt, von denen viele in der Gastronomie arbeiten. „Die Wahrscheinlichkeit des Scheiterns wurde deutlich verringert“, sagt Ohl.
Im Hotel- und Gaststättengewerbe tut sich etwas: So wurde erst kürzlich in Calw im Nordschwarzwald für 27 Millionen Euro ein Ausbildungscampus für den Blockunterricht eröffnet, der kaum noch etwas mit den spartanischen Wohnheimen der Vergangenheit zu tun hat. Es gibt Zimmer mit Komfortausstattung, Sport- und Freizeiteinrichtungen und ein Restaurant. „Ein Meilenstein“, wie DEHOGA-Landesvorsitzender Fritz Engelhardt bei der Eröffnung betonte.
„Heute müssen wir den Arbeitsplatz an die Lebensgewohnheiten unserer Mitarbeitenden anpassen“, stellt auch Beate Gaiser, DEHOGA-Kreisvorsitzende in der Gastronomiehochburg Freudenstadt fest. Die wollen vor allem eines: planbare Freizeit. „Der geteilte Dienst mit langen Pausen zwischen Mittag und Abend wird immer öfter abgelehnt,“ sagt die Hotelfachfrau, die selbst einen eigenen Betrieb leitet.
Das führt immer öfter zu längeren Schließzeiten in den Restaurants. Gaststätten haben die Zahl ihrer Ruhetage auch deshalb deutlich ausgedehnt, weil das die Freizeitmöglichkeiten der Belegschaft verbessert. „Die Zeiten der unbegrenzten Servicebereitschaft sind vorbei“, sagt DEHOGA-Sprecher Daniel Ohl. Damit meint er auch das Zur-Verfügung-Stehen des Personals bis spät in die Nacht hinein bei Events und Festivitäten: „Da wird es vermehrt klare Absprachen und vertragliche Regelungen geben, was geht und was nicht.“

Kulturwandel jetzt

Eine Zeitenwende sieht auch Andreas Braun, Geschäftsführer der Tourismus Marketing GmbH Baden-Württemberg (TMBW): „Das Thema Fachkräfte beschäftigt uns im Tourismus mehr als alles andere, die Branche leidet mit ihren Angeboten zusehends darunter.“ Nach Meinung von Braun ist eine große gesamtgesellschaftliche Anstrengung vonnöten, wenn sich etwas ändern soll: „Es gibt nicht eine Stellschraube, sondern viele.“
Das beginnt für ihn bei den Arbeitsagenturen, die flexibler werden müssten bei der Anerkennung ausländischer Bildungsabschlüsse. Viele Bewerberinnen und Bewerber aus anderen Ländern müssten überdies viel zu lange warten, weil die diplomatischen Vertretungen unterbesetzt seien.
Auch sei es ein falsches Signal, wenn immer noch viele Arbeitnehmende vorzeitig in den Ruhestand gingen. Generell müsse ein Kulturwandel stattfinden, mit einer Bezahlung, die deutlich über dem Mindestlohn liegt, und flexiblen Arbeitszeitmodellen, bei denen auch das Thema Vier-Tage-Woche nicht tabu ist. „Wir haben einen Arbeitnehmermarkt“, sagt Braun, „und müssen uns ändern.“ Jede noch so unorthodoxe Antwort sei dabei willkommen.
Der Europa-Park in Rust hat diesbezüglich eine Vielzahl von Maßnahmen ergriffen. Etwa 700 verschiedene Arbeitszeitmodelle gibt es dort für die bis zu 5.000 Mitarbeitenden, von der geringfügig beschäftigten Aushilfe bis zu Vollzeitmitarbeitenden nach dem klassischen Modell. Immer öfter freilich spielt auch dort die Vier-Tage-Woche eine Rolle und das bei gleichen Bezügen: Für nicht wenige der Bewerberinnen und Bewerber geht es bei Vollzeit um einen wöchentlichen Freizeitblock, der drei Tage beträgt.
„Wir versuchen, individuelle Bedürfnisse so gut wie möglich zu erfüllen“, sagt Jan-Luca Bachmann, stellvertretender Direktor HR (Human Resources) und Organisation. 350 Stellen sind in diesem Jahr im Europa-Park zu besetzen und dafür wird man in 15 Ländern innerhalb und außerhalb der EU aktiv. Dass dabei auch die Bezahlung eine immer größere Rolle spielt, will Bachmann gar nicht leugnen: Die freiwillige Gewährung einer Inflationsprämie könne hier viel bewirken.
Darüber hinaus versucht der Europa-Park auch dadurch seine Mitarbeiterinnen zu binden, dass er ihnen umfangreiche Rabatte bei seinen Geschäftspartnern einräumt. Auch das Thema Personalwohnraum ist bei steigenden Mieten ein wichtiger Anreiz. Hier hat der Europa-Park Plätze für gut 1.200 Mitarbeiter, was vor allem für die Saisonarbeitskräfte ein entscheidender Faktor ist. Zusammen mit flachen Hierarchien, guten Aufstiegschancen und regelmäßigen Teambuilding-Aktionen ein Bündel von Anstrengungen, die nötig sind, um jedes Jahr den Personalbedarf decken zu können.

Alles eine Frage des Images?

Generell ist die Lage nämlich auch im Tourismus nicht rosig. Eine Branche, die unter Corona zu leiden hatte und immer öfter nun auch Gegenstand massiver Kritik von Seiten der Öko-Bewegung ist. „Früher galt Tourismus als cool, jetzt ist er ein Klimakiller“, sagt Professor Alexander Dingeldey, der an der Dualen Hochschule in Ravensburg den Fachbereich Wirtschaft mit Tourismus, Hotellerie und Gastronomie, Reiseverkehr und Reisevertrieb verantwortet.
Von den 30 Plätzen, die die Hochschule in Ravensburg zu vergeben hat, sind derzeit nur zehn besetzt. „Früher hatten wir 300 Bewerbungen, jetzt in manchen Bereichen gar keine mehr“, sagt Dingeldey. Touristische Berufe seien für viele junge Menschen heute nicht mehr attraktiv, „wir finden als Branche kaum noch statt“. Nur wenn man den Jobs ein anderes Image gebe und etwa von Eventmanagement, Business oder EDV spreche, könne man wieder Aufmerksamkeit generieren. „Wo Tourismus draufsteht“, so Dingeldey, „geht fast gar nichts, außer die Bewerberinnen und Bewerber kommen aus entsprechenden Familienunternehmen.“
Für Dingeldey ist es ein Ärgernis, dass „auch die Bundesagentur für Arbeit ganz offensichtlich von unserer Branche abrät, dafür werden Banken als sichere Arbeitsplätze angepriesen“, kritisiert er. Auch sei das Image der Tourismusbranche bei den Eltern und Großeltern nicht gut, „und die treffen ja häufig die Ausbildungsentscheidung“.
Dabei gehört für Alexander Dingeldey der Bereich Reise und Gastronomie zu den Wirtschaftszweigen mit Zukunft und Perspektive. Flache Hierarchien und flexible Arbeitszeiten gebe es hier an vielen Stellen. Überdies sei die Vielfalt der Branche enorm, mit einem Teamgeist und Spirit, der die, die den Job letztlich ergriffen, noch immer begeistere. „Leider sind die meisten Berufsbilder aber bei den jungen Menschen nicht mehr bekannt.“
Ein nicht ganz so düsteres Bild zeichnet die Hochschule in Heilbronn. Dort gibt es mehrere Tourismusstudiengänge, mit einer erfreulichen Nachfrage, wie die Hochschule betont. Besonders beliebt sind dabei die Bereiche Nachhaltigkeit und globaler Wandel im Tourismus. „Das Thema ist präsenter denn je“, sagt Professor Ulrich Brecht, Prorektor für den Bereich Studium und Lehre. Auch viele internationale Studierende seien von diesen neuen Perspektiven im Zeitalter von Wertewandel und Digitalisierung begeistert.

Sinn schlägt Zwang

Freilich stellen auch die Heilbronner eine wachsende Bedeutung der Frage nach Sinnhaftigkeit und Spaß bei der Arbeit fest. „Ist das gegeben, kommt für viele selbst die klassische 40-Stunden-Woche infrage“, sagt Professor Uli Brecht. Nicht wenige allerdings legten auch Wert auf ein ausreichendes Maß an Zeit für sich und ihre Familie.
Das deckt sich auch mit den Erkenntnissen des Arbeitsmarktforschers Enzo Weber vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). Gegenüber der Stuttgarter Zeitung betont er, dass für viele Jüngere die klassischen Ansichten von Arbeitsmoral, Arbeitsrhythmus und Arbeitsstil nicht mehr überzeugend seien. Der Beruf hat Vorrang und der Mensch und die Familie müssen notfalls zurückstecken – das sähen viele heute nicht mehr ein.
Die Bereitschaft, sich in vorgegebene Strukturen einzufügen, sei vielfach nicht mehr gegeben. Mit Faulheit hat das allerdings nach Ansicht von Weber nicht viel zu tun: „Die Arbeit hat nicht an Bedeutung verloren“, so der Experte in dem Zeitungsinterview. Die Einstellung habe sich nur verändert. Eine Erkenntnis, die ganz offenbar aber noch nicht jeden Betrieb erreicht habe.
Der Druck freilich auf die Arbeitgeberseite wächst mit der immer größer werdenden Personalknappheit. Vor allem junge Bewerberinnen und Bewerber sitzen heute am längeren Hebel und können Veränderungen erzwingen – oder sie wenden sich eben einem anderen Betrieb oder einer anderen Branche zu.
Einer, der einen Einblick in die Seele und die Welt der nachkommenden Generationen gewährt, ist der Zukunftsforscher Tristan Horx. Selbst Angehöriger der Generation Y, die ungefähr die Jahrgänge 1980 bis 2000 umfasst, hat Horx sich intensiv und durchaus provozierend mit dem Wertewandel in der Lebens- und Arbeitswelt befasst.
Sein Buch „Sinnmaximierung“ grenzt seine Generation von den Babyboomern ab, die noch immer große Teile des Wirtschaftslebens bestimmen. Starre Arbeitszeiten haben für Horx ausgedient, letztlich geht es für ihn um Produktivität. Die erreicht man am besten durch eine Arbeit, in der man auch einen Sinn sieht. „Sinn schlägt Zwang“, lautet seine Formel, das pflichtschuldige Streben nach Karriere und Geld sind für ihn Lebensentwürfe von gestern.
Welche Chancen der Tourismus in diesem hart umkämpften Markt um Arbeitskräfte hat, vermag auch Horx nicht wirklich zu sagen. Stupide und eintönig sind die meisten Tätigkeiten dort jedenfalls nicht, und auch der lebendige Kontakt zu Menschen kennzeichnet viele der Jobs im Reiseverkehr. Hinzu kommt eine landschaftliche Umgebung mit einer Angebotsinfrastruktur, die auch für Mitarbeitende durchaus attraktiv ist.
„Arbeiten, wo andere Urlaub machen“, lautete deshalb ja auch der Titel einer Branchenkampagne. Dass solche Werbeformeln allein nicht mehr reichen, darüber sind sich auch die Touristikerinnen und Touristiker im Klaren. Beim Deutschen Tourismustag 2022 in Mainz ging es eben darum. Konkrete Anreize wie flexible Arbeitszeitmodelle, gute Bezahlung und finanzierbarer Wohnraum sind gerade dort, wo Urlaubende die Lebenshaltungskosten in die Höhe treiben, vermutlich noch viel entscheidender für die Berufswahl.

Dieser Beitrag ist die Online-Version eines Artikels unseres Autors Andreas Steidel aus der jüngsten Ausgabe des Magazins „Tourismus Aktuell“. Darin informiert die TMBW zweimal im Jahr über aktuelle Trends und Entwicklungen im Tourismus. Das Magazin kann kostenlos heruntergeladen, bestellt oder abonniert werden.

Ansprechpartner für “Tourismus Aktuell”:
Dr. Martin Knauer
m.knauer@tourismus-bw.de



Autor(in): Tim Müller
Tourismus Marketing GmbH Baden-Württemberg
Projektmanager Kommunikation & Koordination
E-Mail: t.mueller@tourismus-bw.de


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