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“Es ist sinnlos, Arbeitszeit abzusitzen”

15.05.2023

Tristan Horx (29) ist Zukunftsforscher und Mitglied der Generation Y, der sogenannten Millennials. Seit 2017 gehört er zum Team des Zukunftsinstituts, das sein Vater Matthias Horx gegründet hat. Ein Gespräch über den Arbeitsmarkt der Zukunft, Sinnmaximierung und New Work.

Herr Horx, Sie sind 1993 geboren, was kennzeichnet Ihre Generation?
Wir sind die Kinder der Babyboomer und damit die erste postmaterialistische Generation. Unsere Eltern haben den Wohlstand geschaffen, viel Geld verdient, Häuser gebaut, von montags bis freitags täglich acht Stunden im Büro oder in der Fabrik gearbeitet. Das hat im Industriezeitalter funktioniert, doch heute kommt es auf andere Dinge an.

Auf welche?
Das Informationszeitalter stellt völlig andere Anforderungen. Homeoffice fordern wir eigentlich schon seit Langem, aber wir haben nicht laut genug rebelliert. Nun hat Corona gezeigt, was alles möglich ist. Ich habe diese Krise nicht gewollt, aber sie war wohl nötig, damit sich etwas bewegt. In wenigen Wochen ging plötzlich alles, worüber jahrelang diskutiert wurde.

Was muss sich in unserer Arbeitswelt verändern?
Es ist sinnlos, wenn Menschen für abgesessene Zeit bezahlt werden. Man kann maximal vier Stunden am Tag produktiv sein, aber nach dem klassischen Modell gilt eine Anwesenheit von acht Stunden. Künftige Arbeitszeitmodelle sollten weg von diesen starren Schemen, da müssen sich die Arbeitgeber bewegen, aber auch die Gewerkschaften. Das Arbeitsrecht blockiert leider viele Veränderungen.

Immer wieder hört man: Die jungen Leute von heute wollen nicht mehr arbeiten, sie sind bequem, es geht nur noch um Work-Life-Balance, Freizeit und Sinn. Ist das so?
Ich habe auch schon gehört, dass es uns nur noch um Life-Life-Balance geht. Tatsache ist, dass jeder gesellschaftliche Wandel auf Kritik stößt. Es gab Zeiten, da haben die Menschen 60 Stunden in der Woche gearbeitet, dann waren es 40, auch das war nicht frei von Spannungen. Wir sind leider in einer Situation, in der sich Leistung im klassischen Sinne nicht mehr lohnt. Selbst wer 50 Stunden in der Woche arbeitet und gut bezahlt wird, kann kein Haus mehr finanzieren. Die Vermögen sind ungleich verteilt, die Babyboomer haben Immobilien und profitieren von großen Erbschaften.

Tristan Horx ist Kultur- und Sozialanthropologe. Er arbeitet als Trend- und Zukunftsforscher für das Zukunftsinstitut und tritt als Speaker auf. Zu seinen Themenschwerpunkten gehören Megatrends, Digitalisierung, Lifestyle, Globalisierung und Generationenwandel.

Was folgt daraus?
Dass es auch um eine gerechte Vermögensverteilung geht. Deswegen bin ich auch für ein bedingungsloses Grundeinkommen. Wir können uns das leisten in dieser Gesellschaft. Das reduziert den wirtschaftlichen Druck und eröffnet bei der Berufswahl ganz neue Möglichkeiten – weg vom reinen Geld- und Karrieredenken.
Wer seine Arbeit so wählt, dass er sie als sinnvoll empfindet, wird am Ende auch produktiver sein. Das ist eben der Trugschluss, dem viele aufsitzen: Wir wollen arbeiten, nur eben anders.

Der Begriff des New Work macht ja diesbezüglich die Runde, was versteht man darunter genau?
Es beschreibt den Wechsel vom Industriezeitalter zum Informations- und Kreativzeitalter. Zentral ist dabei das ortsunabhängige Arbeiten. Man muss nicht mehr dort wohnen, wo der Arbeitgeber sitzt. Im Grunde ist es egal, wo mein Computer steht und wo ich meinen Job mache: Es gibt Mischformen wie Workation, bei denen die Menschen sogar am Urlaubsort arbeiten. Das kann sehr inspirierend sein.

Aber besteht da nicht die Gefahr, dass man gar nicht mehr zur Ruhe kommt?
Die scharfe Trennung Arbeit und Freizeit ist nicht mehr zeitgemäß. Wer in seiner Arbeit einen Sinn sieht, wird sie auch nicht als reine Belastung empfinden. Deswegen mag ich den Begriff Work-Life-Balance auch nicht: Er unterstellt, dass Arbeit ein Zwang ist und das Leben erst danach anfängt. So denken heute viele nicht mehr. Ich rede lieber vom Work-Life-Blending, weil es zeigt, dass beides miteinander verschmelzen kann. Die richtige Mischung macht‘s, aber dazu braucht es mehr Freiheiten. Arbeitgeber sollten auf den Output schauen und ihre Mitarbeitenden nicht auf Schritt und Tritt kontrollieren.

Welche Chancen haben die Berufe im Tourismus?
Der Bereich Hospitality ist grundsätzlich etwas sehr Schönes, Sinnvolles, da bekommt man auch viel Bestätigung von außen. Leider hat der massenhafte Tagestourismus viel kaputt gemacht. Da braucht es eine Entschleunigung hin zu mehr Qualität, wir haben es mit dem Vielreisen in den vergangenen Jahren vermutlich auch übertrieben.

Gerade im Tourismus ist eine Homeoffice-Lösung allerdings vielfach nur schwer möglich. Was müsste man da tun, um die Arbeitsplätze für junge Menschen attraktiver zu machen?
Die Arbeitszeit reduzieren und zwar spürbar. Statt zehn sechs Stunden am Tag, statt über 40 eben nur 30 Stunden in der Woche. Dann haben die Menschen auch wieder mehr Freude an der Gastgeberrolle. Ich habe selbst in meinen jungen Jahren in der Gastronomie gejobbt und weiß, wie hart das ist.

Dann braucht man aber zusätzliches Personal, das in dieser Branche ohnehin schon knapp ist. Wo soll das denn herkommen?
Die Potenziale im Bereich Migration und Automatisierung sind längst nicht ausgeschöpft. Warum muss es heute noch Tellerwäscher geben? Und wenn man ein ganztägiges Kinderbetreuungsangebot zur gesetzlichen Pflicht machen würde, könnten viele Frauen, die heute zu Hause sind, arbeiten.

Wagen Sie mal einen Blick in die Zukunft: Wie wird der Arbeitsmarkt in 20 Jahren aussehen?
Alleine der demographische Wandel wird viele Veränderungen erzwingen. Der Trend wird zu einer Vertrauensarbeitszeit gehen, die nicht mehr von Kontrolle bestimmt ist. 32 bis 33 Stunden sind dann wahrscheinlich die Norm. Aber vielleicht sind Stunden dann auch gar nicht mehr die Einheit, in der das gemessen wird.

Dieses Interview unseres Autors Andres Steidel ist erschienen in der jüngsten Ausgabe des Magazins „Tourismus Aktuell“. Darin informiert die TMBW zweimal im Jahr über aktuelle Trends und Entwicklungen im Tourismus. Das Magazin kann kostenlos bestellt oder abonniert werden.

Ansprechpartner für “Tourismus Aktuell”:
Dr. Martin Knauer
m.knauer@tourismus-bw.de



Autor(in): Tim Müller
Tourismus Marketing GmbH Baden-Württemberg
Projektmanager Kommunikation & Koordination
E-Mail: t.mueller@tourismus-bw.de


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