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Wann ist ein Wanderurlaub wirklich nachhaltig? Fachforum Königswinterer Kreis auf der CMT

18.01.2024
©Quelle: Königswinterer Kreis

Rund 70 Teilnehmerinnen und Teilnehmer folgten der Einladung des „Königswinterer Kreises“ zum Fachforum „Wie nachhaltig ist Wandern wirklich?“ im Rahmen der Tourismusmesse CMT in Stuttgart am 13. Januar 2024.

Der Königswinterer Kreis ist ein ideeller Zusammenschluss ausgewiesener Wanderexpertinnen und -experten aus ganz Deutschland und fördert den Erfahrungsaustausch im Tourismus.

Die Veranstaltung galt der Diskussion, ob die landläufige Einschätzung, Wandern sei per se heraus nachhaltig, einer intensiveren Prüfung standhält und wo diesbezüglich die Schwerpunkte zukünftiger Entwicklungen liegen müssen. Wandern ist an sich als zielgerichtete fußläufige Bewegung mit zweckmäßiger Ausstattung bezüglich der Klimaauswirkungen eine nachhaltige, da CO2-emissionsfreie Fortbewegung. Wenn zudem die Tragfähigkeit von Natur und Landschaft sowie die Bedürfnisse der lokalen Bevölkerung von den Wandernden respektiert werden und die Ausgaben für Unterkunft, Ausrüstung und Verpflegung die Wertschöpfung in den Wandergebieten erhöhen, kann ein Wanderurlaub die ökologischen, sozialen und ökonomischen Anforderungen einer nachhaltigen Urlaubsform erfüllen.

Doch für die Gesamtbetrachtung eines nachhaltigen Tourismus ist die gesamte so genannte „Servicekette“ entscheidend. Diese beinhaltet alle Aktivitäten der Reisenden vor, während und nach der Reise. Dazu zählen etwa die vom Gast gewählten Verkehrsmittels zur An- und Abreise in die Urlaubsregion, die Fortbewegung vor Ort oder auch die Auswahl der Unterkunft und Gastronomie. Laut Bundesumweltamt wird der Anteil der Treibhausgas-Emissionen, die durch den weltweiten Tourismus verursacht werden, derzeit auf 8 % geschätzt. Die Tendenz sei steigend. Nach weiteren Schätzungen ist der Verkehr der Auslöser von rund 75% der weltweit durch den Tourismus generierten CO2- Emissionen, dabei zu 52% durch Flugreisen und zu 43% durch Reisen mit dem PKW. Doch wie lässt sich Nachhaltigkeit im Tourismus überhaupt qualitativ und quantitativ messen?

Dieser Frage ging Christine Kintscher von der Beratungsagentur „reCET“, Eberswalde, in ihrem Einführungsvortrag nach. Die Beraterin kritisierte, dass die Effekte des Tourismus in der Branche nach wie vor zumeist an der Zahl der Übernachtungen und Ankünfte gemessen werden. Damit vernachlässige man vor allem im ökologischen und sozialen Bereich Wirkungen, die den Tourismus an die Grenzen des Wachstums brächten. Treibhausemissionen, aber auch Tourismusakzeptanzsalden seien messbare Größen, die bei der Betrachtung der Nachhaltigkeit des Tourismus ebenso zu berücksichtigen seien. Für die Messung gebe es inzwischen einschlägige Verfahren und Messgrößen. Doch nur die ganzheitliche Betrachtung der Nachhaltigkeit und Erfassung der auf sie wirkenden Faktoren werde der Bedeutung gerecht, die der Tourismus auf den Lebensraum habe. Dafür werde ein je nach Anwendungsfall individueller und dynamischer Rahmen mit klaren Zielen benötigt. Wichtig ist der Zertifizierungsexpertin außerdem, dass Daten keinen Selbstzweck erfüllen, sondern die Grundlage für Analysen, Optimierungen, Vergleiche und Kommunikationsmaßnahmen sind. Für Kintscher ist klar, „Wer wachsen will, wird größer, wer sich entwickeln will, wird besser.“

Prof. Dr. Heinz-Dieter Quack vom Institut für Tourismus- und Regionalforschung der Ostfalia Hochschule für angewandte Wissenschaften, Salzgitter, und Moderator des Königswinterer Kreises gab im Anschluss einen umfassenden Überblick, wie Nachhaltigkeit in der Branche des Wandertourismus aktuell ihren Niederschlag findet. Quack attestiert dem Tourismus nicht nur quantitativ, sondern auch in der Ausgestaltung eine Rückkehr zum Vor-Corona-Status. Eine fundierte Hinwendung zu einem nachhaltigeren Tourismus sei bei Urlauberinnen und Urlaubern nicht zu erkennen, jedoch ein zunehmendes Bewusstsein für soziale und ökologische Aspekte. Dies führe aber nicht zu grundsätzlichen Änderungen des Reiseverhaltens, z.B. durch verstärkte Nutzung emissionsarmer Mobilität. Immerhin sei festzustellen, dass Menschen mit einer nachhaltigen Lebenseinstellung und einem nachhaltigen Konsumverhalten überdurchschnittlich häufig wandern. Das Kardinalproblem ist laut Quack auch beim Wandern in der Mobilität zu finden, so dass jegliche Nachhaltigkeitsentwicklung einen starken Fokus auf die Verbesserung des ÖPNV-Angebotes in der An- und Abreise sowie im Urlaubsgebiet legen müsse. In den sozialen und ökonomischen Dimensionen sieht er das Wandern allen anderen Urlaubsformen als überlegen, womit er die Förderung des Wanderns als notwendigen Beitrag zur nachhaltigen Regionalentwicklung begründet.

Bei der anschließenden Podiumsdiskussion, moderiert von Walter Knittel, Geschäftsführer der Donaubergland Marketing und Tourismus GmbH, Tuttlingen, vertieften Expertinnen und Experten aus verschiedensten Bereichen des Wandertourismus weitere Aspekte der Nachhaltigkeit. Jasmin Hadorn, CSR-Managerin beim Reiseveranstalter ASI Reisen aus Natters/Österreich, stellte dar, dass die CO2-Bilanz der Angebote als Teil des ökologischen Fußabdrucks der Reisen für ASI extrem relevant sei. Der regionalen Wertschöpfung gelte weiterhin große Aufmerksamkeit, so werde bei jedem Angebot kommuniziert, wie hoch die lokale Wertschöpfung sei. „Wir können unsere Gäste, Partner und Leistungsgeber aktiv dabei unterstützen, verantwortungsvoll zu handeln und somit zur nachhaltigen Entwicklung des Tourismus beizutragen“, so die Reiseexpertin.

Friedel Heuwinkel, Präsident des Verbands Deutscher Naturparke e.V., verwies auf die Verdienste von Naturparken, Nationalparke, Biosphärenreservaten, die unter dem Dach „Nationale Naturlandschaften e.V.“ gemeinsam agieren, für eine nachhaltige Natur- und Regionalentwicklung hätten. Die Entwicklung eines nachhaltigen Tourismus und naturgebundener Bildungsangebote seien zudem grundlegende Aufgaben der 104 deutschen Naturparke. Daher forderte er von der Politik mit Blick auf das Haushaltsrecht die entsprechenden Förderungen und Finanzierungen aus dem Bereich der freiwilligen Leistungen in den Bereich der Pflichtaufgaben zu verschieben. Eine nachhaltige Regionalentwicklung bedürfe einer zuverlässigen Finanzierung, die bei der Einstufung als freiwillige Leistung nicht gegeben sei.

Axel Dürr, Projektleiter bei „bwegt – die Dachmarke des Landes Baden-Württemberg für nachhaltige Mobilität“ präsentierte als Leitidee des Konzeptes, Freizeitgestaltung von der Mobilität aus zu denken und zu entwickeln. Bei den innerhalb des Projektes präsentierten Vorschlägen handele es sich durchgehend um Streckenwanderungen unter verstärkter Einbindung des ÖPNV. Der Gast müsse beim Wandern den Mehrwert der Nachhaltigkeit erkennen. Dies geschehe beispielweise bei „bwegt plus“ durch Rabatte, die von den Projektpartnern gewährt werden. Der Gast werde so motiviert, verstärkt auf nachhaltig konzipierte Angebote zurückzugreifen. Die Landesmarke „bwegt“ sei kampagnenfähig und vernetze alle öffentlichen Aufgabenträger des ÖPNV.

Erik Neumeyer, stellvertretender Geschäftsführer beim Deutschen Wanderverband e.V., wies darauf hin, dass der Deutsche Wanderverband auch als Naturschutzorganisation anerkannt und tätig sei. Die Reduzierung von Müll, die verstärkte Nutzung des ÖPNV und regionale Wertschöpfung seien Ziele, die der Verband seit jeher forciere. Rund 8.000 zertifizierte Wanderführer seien hierzu wichtige Multiplikatoren in der Informationsvermittlung und Umsetzung nachhaltigen Wanderns. Eine Herausforderung sieht er in der noch nicht allgemeingültig standardisierten Messbarkeit. Weiterhin unterstrich er, dass Qualität im Wandertourismus konsequent um Kriterien der Nachhaltigkeit ergänzt werden müssten. Vor allem der noch stärkeren Einbindung des ÖPNV müsse Aufmerksamkeit geschenkt werden.

Die nachfolgende Diskussion unter Einbeziehung des Publikums widmete sich u.a. der Fragestellung, ob eher die Nachfrage oder das Angebot den Impuls für eine nachhaltige Entwicklung geben müsse. Die Expertinnen und Experten des Podiums waren sich einig, dass Nachhaltigkeit angebotsgetrieben vorangebracht werden müsse. Leistungsträgern käme eine maßgebliche Verantwortung zu, die Verantwortlichen der Wander- und Mobilitätsangebote müssten enger zusammenarbeiten, vorhandene Denkmuster durchbrochen werden. Vorschläge aus dem Podium gingen so weit, eine Zertifizierung von Wanderwegen generell auszuschließen, wenn keine Anbindung an den ÖPNV gegeben sei. Andere Teilnehmende aus dem Publikum lehnten solch eine Idee mit Verweis auf die Unterversorgung des ländlichen Raums mit ÖPNV-Angeboten ab. Einig war sich das Publikum mit dem Podium, dass bestehende Möglichkeiten der Messung der Auswirkungen des Tourismus auf die drei Dimensionen der Nachhaltigkeit stärker als bisher genutzt werden müssten. Eine bessere Einbindung der Mobilität vertrage keine Einschränkungen der Angebotsqualität: Das nachhaltige Angebot müsse das bessere Angebot sein.

Diesen Aspekt nahmen auch mehrere Teilnehmende zum Anlass für den Vorschlag, das Angebot von bwegt um hochwertige Rundtouren mit Ausgangspunkt Bahnhof oder Bushaltestelle zu erweitern, statt es in einem ersten Schritt nur auf Streckenwanderungen zu verengen und plädierten für einen engeren Austausch mit Regionen und Destinationen im Rahmen des Projektes.

Durch den Klimawandel kämen höhere Anforderungen auf die Wanderinfrastruktur zu, deren Finanzierung müsse sichergestellt sein. Gleich mehrere Redner forderten deshalb, das Wandern, ähnlich wie in der Schweiz, als Teil einer fußläufigen Mobilität zum Verfassungsziel erklärt werden müsse.

In der Zusammenfassung der Vorträge und Diskussionen wiesen die Moderatoren Quack und Knittel nochmals darauf hin, dass man Nachhaltigkeit als komplexes System begreifen müsse, in dessen vernetzter Entwicklung man vielfach erst am Beginn einer erforderlichen Transformation stehe. Jegliche Entwicklung erfordere Mut und integriertes Denken. Dass die Mobilität im Tourismus als Einzelfaktor die stärksten Auswirkungen habe, entbinde die Branche nicht der Verantwortung, entlang der gesamten Servicekette zu prüfen, wie man nachteilige Effekte minimieren und positive Effekte fördern kann. Klar sei laut Quack und Knittel, dass das Wandern als Urlaubsform beste Voraussetzungen für eine nachhaltige Entwicklung biete. Da es nicht allein um Freizeit, sondern um die nachhaltige Regionalentwicklung mit maßgeblichen Auswirkungen für den Lebensraum ginge, seien die Finanzierung der Wanderinfrastruktur und zusätzlicher freizeitorientierter Mobilität nicht als freiwillige und im Zweifel entbehrliche Leistungen zu sehen, sondern als Pflichtaufgabe.

Der Königswinterer Kreis unterstützt die Fortsetzung der Diskussion über eine verpflichtende Finanzierung der Wanderinfrastruktur.



Autor(in): Heiko Zeeb
Schwäbische Alb Tourismus
Themenmanager Wandern & Albsteig
E-Mail: zeeb@schwaebischealb.de
Telefon: +49 (0) 7125 / 93 930 – 29
Telefax: +49 (0) 7125 / 93 930 – 99
Kategorien:
Aktuelles · Fachveranstaltung · Messen · Wandern


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