Alles eine Frage des Images?
Generell ist die Lage nämlich auch im Tourismus nicht rosig. Eine Branche, die unter Corona zu leiden hatte und immer öfter nun auch Gegenstand massiver Kritik von Seiten der Öko-Bewegung ist. „Früher galt Tourismus als cool, jetzt ist er ein Klimakiller“, sagt Professor Alexander Dingeldey, der an der Dualen Hochschule in Ravensburg den Fachbereich Wirtschaft mit Tourismus, Hotellerie und Gastronomie, Reiseverkehr und Reisevertrieb verantwortet.
Von den 30 Plätzen, die die Hochschule in Ravensburg zu vergeben hat, sind derzeit nur zehn besetzt. „Früher hatten wir 300 Bewerbungen, jetzt in manchen Bereichen gar keine mehr“, sagt Dingeldey. Touristische Berufe seien für viele junge Menschen heute nicht mehr attraktiv, „wir finden als Branche kaum noch statt“. Nur wenn man den Jobs ein anderes Image gebe und etwa von Eventmanagement, Business oder EDV spreche, könne man wieder Aufmerksamkeit generieren. „Wo Tourismus draufsteht“, so Dingeldey, „geht fast gar nichts, außer die Bewerberinnen und Bewerber kommen aus entsprechenden Familienunternehmen.“
Für Dingeldey ist es ein Ärgernis, dass „auch die Bundesagentur für Arbeit ganz offensichtlich von unserer Branche abrät, dafür werden Banken als sichere Arbeitsplätze angepriesen“, kritisiert er. Auch sei das Image der Tourismusbranche bei den Eltern und Großeltern nicht gut, „und die treffen ja häufig die Ausbildungsentscheidung“.
Dabei gehört für Alexander Dingeldey der Bereich Reise und Gastronomie zu den Wirtschaftszweigen mit Zukunft und Perspektive. Flache Hierarchien und flexible Arbeitszeiten gebe es hier an vielen Stellen. Überdies sei die Vielfalt der Branche enorm, mit einem Teamgeist und Spirit, der die, die den Job letztlich ergriffen, noch immer begeistere. „Leider sind die meisten Berufsbilder aber bei den jungen Menschen nicht mehr bekannt.“
Ein nicht ganz so düsteres Bild zeichnet die Hochschule in Heilbronn. Dort gibt es mehrere Tourismusstudiengänge, mit einer erfreulichen Nachfrage, wie die Hochschule betont. Besonders beliebt sind dabei die Bereiche Nachhaltigkeit und globaler Wandel im Tourismus. „Das Thema ist präsenter denn je“, sagt Professor Ulrich Brecht, Prorektor für den Bereich Studium und Lehre. Auch viele internationale Studierende seien von diesen neuen Perspektiven im Zeitalter von Wertewandel und Digitalisierung begeistert.
Sinn schlägt Zwang
Freilich stellen auch die Heilbronner eine wachsende Bedeutung der Frage nach Sinnhaftigkeit und Spaß bei der Arbeit fest. „Ist das gegeben, kommt für viele selbst die klassische 40-Stunden-Woche infrage“, sagt Professor Uli Brecht. Nicht wenige allerdings legten auch Wert auf ein ausreichendes Maß an Zeit für sich und ihre Familie.
Das deckt sich auch mit den Erkenntnissen des Arbeitsmarktforschers Enzo Weber vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). Gegenüber der Stuttgarter Zeitung betont er, dass für viele Jüngere die klassischen Ansichten von Arbeitsmoral, Arbeitsrhythmus und Arbeitsstil nicht mehr überzeugend seien. Der Beruf hat Vorrang und der Mensch und die Familie müssen notfalls zurückstecken – das sähen viele heute nicht mehr ein.
Die Bereitschaft, sich in vorgegebene Strukturen einzufügen, sei vielfach nicht mehr gegeben. Mit Faulheit hat das allerdings nach Ansicht von Weber nicht viel zu tun: „Die Arbeit hat nicht an Bedeutung verloren“, so der Experte in dem Zeitungsinterview. Die Einstellung habe sich nur verändert. Eine Erkenntnis, die ganz offenbar aber noch nicht jeden Betrieb erreicht habe.
Der Druck freilich auf die Arbeitgeberseite wächst mit der immer größer werdenden Personalknappheit. Vor allem junge Bewerberinnen und Bewerber sitzen heute am längeren Hebel und können Veränderungen erzwingen – oder sie wenden sich eben einem anderen Betrieb oder einer anderen Branche zu.
Einer, der einen Einblick in die Seele und die Welt der nachkommenden Generationen gewährt, ist der Zukunftsforscher Tristan Horx. Selbst Angehöriger der Generation Y, die ungefähr die Jahrgänge 1980 bis 2000 umfasst, hat Horx sich intensiv und durchaus provozierend mit dem Wertewandel in der Lebens- und Arbeitswelt befasst.
Sein Buch „Sinnmaximierung“ grenzt seine Generation von den Babyboomern ab, die noch immer große Teile des Wirtschaftslebens bestimmen. Starre Arbeitszeiten haben für Horx ausgedient, letztlich geht es für ihn um Produktivität. Die erreicht man am besten durch eine Arbeit, in der man auch einen Sinn sieht. „Sinn schlägt Zwang“, lautet seine Formel, das pflichtschuldige Streben nach Karriere und Geld sind für ihn Lebensentwürfe von gestern.
Welche Chancen der Tourismus in diesem hart umkämpften Markt um Arbeitskräfte hat, vermag auch Horx nicht wirklich zu sagen. Stupide und eintönig sind die meisten Tätigkeiten dort jedenfalls nicht, und auch der lebendige Kontakt zu Menschen kennzeichnet viele der Jobs im Reiseverkehr. Hinzu kommt eine landschaftliche Umgebung mit einer Angebotsinfrastruktur, die auch für Mitarbeitende durchaus attraktiv ist.
„Arbeiten, wo andere Urlaub machen“, lautete deshalb ja auch der Titel einer Branchenkampagne. Dass solche Werbeformeln allein nicht mehr reichen, darüber sind sich auch die Touristikerinnen und Touristiker im Klaren. Beim Deutschen Tourismustag 2022 in Mainz ging es eben darum. Konkrete Anreize wie flexible Arbeitszeitmodelle, gute Bezahlung und finanzierbarer Wohnraum sind gerade dort, wo Urlaubende die Lebenshaltungskosten in die Höhe treiben, vermutlich noch viel entscheidender für die Berufswahl.